Abschied von Inken – Ein Gedicht der Trauer

Die letzte Urlaubsreise von Inken an die Ostsee mit Claudia und mir im Sommer 2011.

Inken Lehmann verstarb am 26.11. 2011

Meine Rede anlässlich der Trauerfeier für Inken am 16.12. 2011

Ich habe Inken kennengelernt Anfang der 90er, auf der Tanzfläche der Frauenkultur. Und was ich damals noch nicht wusste, aber im Laufe der Jahre verstanden habe: Inken war eine leidenschaftliche Tänzerin und auch in den Phasen, in denen das Leben nicht so verlief, wie sie es sich wünschte, beim Tanzen war Inken ganz bei sich und ihrer tiefen Lebensfreude. Wir haben nur noch selten zusammen getanzt in den vergangenen Jahren, aber wenn wir tanzten, dann waren wir ganz nah beieinander, teilten die überbordende Lebensenergie und blieben doch jede bei sich.

Die Liebe

Die Inken, die ich kannte, war eine Suchende. Sie suchte die Liebe, die eine, die wahre. Inken fand sie für Momente. Griff mit herzhafter Lust hinein ins Lebensglück, suhlte sich darin, tankte Energie, liebte mit allen Sinnen. Doch dieser Zustand hielt meist nicht lange an. Den Zeiten dieser totalen Glückseligkeit folgte häufig ein Absturz. Dann stellte Inken alles infrage. Sich selbst, die Liebe, ihre Ansprüche an das Leben. Das waren häufig Zeiten, in denen unsere Gespräche schwer waren, dunkel, geprägt von Lebenszweifel und ja, auch von viel Alkohol. In diesen Zeiten waren wir einander auf eine andere Art nah, so nah wie dies nur mit wenigen Menschen möglich ist. Und in diesen Momenten versicherten wir einander: Alles in diesem Leben hat einen Sinn. Es war für Inken und auch für mich einfacher, diese Worte von der anderen zu hören, das machte sie glaubwürdiger. Für uns beide.

Unstet

Es gab nicht viel Kontinuität in Inkens Leben, nicht in der Liebe, nicht in ihren Jobs. Immer musste sie sich ausprobieren, immer musste sie sich beweisen. Inken war intelligent und feinsinnig und sie war sehr sensibel. Das war der Charakterzug von sich selbst, mit dem sie am meisten auf Kriegsfuß stand. „Wenn ich hart, zupackend und tatkräftig bin, dann kann mir nichts geschehen. Ich muss hart sein zu mir, ich muss stark sein, aber ich will auch stark sein, weil es schön ist, diese Energie zu spüren, präsent zu sein, da zu sein.“ So ähnlich hat Inken es in unseren Gesprächen ausgedrückt. Erst in den letzten zehn Jahren hat sie sich ausgesöhnt mit ihren sensiblen Anteilen, konnte in Momenten auch mal Schwäche zugeben. Das war wohl ihr Lebensthema – zumindest war es oft in unseren Gesprächen Thema: der Wunsch, für sich selbst, aber auch im Beisein anderer schwach sein zu dürfen.

Alle, die Inken in ihren letzten Monaten begleitet haben, wissen, dass es ihr auch in ihren schmerzhaftesten Momenten schwerfiel, Schwäche zu zeigen. Und ich bin mir auch jetzt noch nicht sicher, wen sie damit schützen wollte: sich vor den eigenen Dämonen oder uns. Wenn ich sage, es gab wenig Kontinuität in Inkens Leben, so meine ich damit vor allem in Bezug auf die Arbeit und Liebe. Kontinuität gab es in ihrer Liebe zu ihren Katzen, in ihren Freundschaften. Von den Reisen mit Claudia hat Inken viel erzählt. Überhaupt waren die wenigen Reisen, die Inken gemacht hat, oft Gesprächsthema.

Die Reise

Vor allem die Reise nach Lesbos, wo sie in Ermangelung von Geld sich jeden Mittag ein Baguette kaufte, sich an einen Schilfteich setzte und ihr Baguette mit ein paar Schildkröten teilte. In diesem Teich soll es Hunderte gegeben haben. Und wenn Inken „Hunderte“ sagte, dann grinste sie, weil sie sich der massiven Übertreibung bewusst war.

Es fällt mir schwer, Abschied zu nehmen und immer noch habe ich den Impuls, in die Niederkirchnerstraße einzubiegen und kurz bei Inken vorbeizuschauen. Ich habe eine Freundin verloren, eine Schwester im Geist, eine Seelenverwandte. Was mir hilft, nicht im Dunkel des Abschieds zu verharren, sind Inkens Worte:

Wir sehen uns wieder, wo und wie auch immer. Und wenn du im Meer schwimmen gehst und es krabbelt zwischen deinen Beinen, etwas streichelt deine Brust – dann bin ich das, die Inken.

Abschied von Inken – Ein Gedicht der Trauer

54 13 00 n 12 06 00 e Seebestattung am 13.04. 2012

Im Lebensfluss, dein Lachen wurde ruhiger,
dein Blick leuchtete
deine Hände waren stetig
zupackend und zuverlässig.

Wir sind uns begegnet
Vergangene Tage warfen lange Schatten.
Wir sind uns begegnet
Lebensgier wucherte unbeschnitten

Du liefst über heißen Sand
Bevor deine Stunde gekommen
Fuhrst übers Meer den Träumen entgegen
Die Segel gebläht im Wind von Südwest

Hoffnungsfetzen hingen zwischen Morphiumbeschuss und Schmerzattacken
Nur dein Blick erinnerte noch an ungebeugte Kräfte,
flehte zornig und bat um Erlösung.

Wir sind uns begegnet
Nacht atmete Sterne über uns
Wir sind uns begegnet
Zeitwehe zwischen heute und anderswo

Fahr übers Meer jetzt
deine Stunde ist gekommen
Zu Wasser lassen wir deine Asche
Ziehen fort mit geblähtem Segel Richtung Nordost
Der aufgehenden Sonne entgegen.

© Sylvia Tornau

Ein Jahr Sterbebegleitung

Mit einer Gruppe von Frauen, alles Freundinnen von Inken, begleiteten wir Inken im Jahr ihrer Krankheit, ihres Todes. Über dieses Jahr durfte ich einen Beitrag veröffentlichen, in dem Buch von Sandra Strauß und Schwarwel (Hrsg.) „nichtgesellschaftsfähig – TOD, VERLUST, TRAUER UND DAS LEBEN

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Hallo, ich bin Sylvia

systemische Therapeutin, Trauma-Coach und Bloggerin. Seit über 20 Jahren arbeite ich mit Paaren, Familien und Einzelpersonen daran, negative Kindheitsprägungen und frühe Traumata zu lösen und ein Leben voller Selbstvertrauen, innerem Frieden und emotionaler Stabilität zu führen.
Für ein erfülltes Leben in Verbundenheit.

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