Arbeit mit inneren Anteilen: Wie du deine inneren Stimmen erkennst und integrierst
In meinem Methoden-Repertoire ist die Arbeit mit inneren Anteilen ein fester Bestandteil. Doch oft begegnen mir bei dem Thema Skepsis und Abwehr. Häufig kommen Fragen wie: „Ist das etwas Esoterisches?“ oder „Ich bin doch keine gespaltene Persönlichkeit!“ Diese Abwehr entsteht oft aus Missverständnissen darüber, was innere Anteile tatsächlich sind.
Für mich stellt sich die Arbeit mit inneren Anteilen so dar: Mein heutiges Ich – Körper, Seele und Psyche – ist wie ein bewohntes Haus. In diesem Haus gibt es viele Räume – große und kleine, helle und dunkle. In all diesen Räumen „wohnen“ meine biografischen und beruflichen Erfahrungen, mein Wissen, meine Empfindungen und eben auch die inneren Anteile.
Die Rollen, die ich im Leben eingenommen habe, hängen sortiert im begehbaren Kleiderschrank. Meine sich verändernden Werte haben hier ihren Platz: die aktuellen als Gemälde, andere etwas angestaubt hinter der Kommode. In der Küche hocken Anteile unterschiedlichen Alters, von pubertär bis abgeklärt. In einem Raum spielen Kinder, in einem Atelier malt eine Frau, eine andere singt. Das Bad im Untergeschoss ist verwüstet, alles ist kurz und klein geschlagen. Vor der Badtür hockt eine Jugendliche, lehnt mit leerem Blick erschöpft an der Wand. Neben ihr liegt eine Axt. Im Keller sind ein paar Kinder, die auf Matratzen eingerollt liegen und nicht reagieren, wenn ich sie anspreche.
Das alles, das Haus samt Inhalt und Bewohnerinnen, bin ich, so wie ich heute bin.
Die Arbeit mit inneren Anteilen hilft mir und vielen Klient:innen, die verschiedenen Seiten der Persönlichkeit zu verstehen – von den unterstützenden bis zu den verletzten Teilen. Sie hat uns dabei unterstützt, alte Muster zu erkennen und zu transformieren, die uns heute nicht mehr dienlich sind. In diesem Artikel zeige ich dir, was innere Anteile sind und wie du mit ihnen arbeiten kannst, um mehr Klarheit, Selbstverständnis und innere Balance zu gewinnen.
Was sind „innere Anteile“?
Hast du dich schon einmal dabei ertappt, wie du in einer stressigen Situation plötzlich anders reagierst, als du es dir vorgenommen hast? Vielleicht hast du in einem Moment der Überforderung etwas gesagt oder getan, das du später bereut hast. Oder du hattest das Gefühl, dass in dir plötzlich zwei gegensätzliche Stimmen miteinander streiten: „Mach den neuen Job! Das ist deine Chance!“, ruft die eine Stimme, während die andere sagt: „Bleib lieber, es ist viel zu unsicher, du riskierst zu viel.“ Diese „Stimmen“ können auf unterschiedliche innere Anteile hinweisen. Das sind im Grunde die verschiedenen Aspekte deiner Persönlichkeit, die in bestimmten Momenten aktiv werden und dich beeinflussen.
Diese inneren Anteile sind keine mystischen oder esoterischen Wesen, sondern vielmehr die verschiedenen Seiten in uns, die unsere Erfahrungen und Überzeugungen widerspiegeln. Sie sind ein Teil unserer psychischen Struktur und haben einen tiefen Einfluss darauf, wie wir uns selbst erleben und wie wir auf die Welt reagieren. Vielleicht kennst du auch den inneren Kritiker, der ständig zweifelt, oder das innere Kind, das in schwierigen Momenten nach Aufmerksamkeit und Fürsorge verlangt.
Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alle inneren Anteile negativ oder hinderlich sind. Während viele Anteile aus schmerzhaften Erfahrungen stammen und uns schützen wollen, gibt es auch viele positive, stärkende Anteile. Diese positiven Anteile entstehen durch gesunde Bindung, Erfolgserlebnisse, Selbstachtung und andere förderliche Erfahrungen. Sie helfen uns, uns sicher und selbstbewusst zu fühlen und Herausforderungen mit Resilienz zu begegnen.
Die verletzten Anteile – die, die aus schwierigen oder traumatischen Erfahrungen stammen – haben ihre Funktion als Schutzmechanismen erfüllt, doch ihre Weise, uns zu unterstützen, ist heute oft nicht mehr hilfreich. Die positiven Anteile hingegen unterstützen uns dabei, unser Potenzial zu entfalten und uns gesund weiterzuentwickeln.
Die Rolle des Erwachsenen-Anteils
In der Arbeit mit inneren Anteilen stellt sich oft die Frage: „Wer übernimmt denn die Verantwortung, wenn wir uns mit diesen Anteilen befassen?“ Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig zu wissen, dass die Arbeit mit den inneren Anteilen nicht einfach aus einer beliebigen Perspektive heraus geschieht. Es ist der Erwachsenen-Anteil, der als verantwortlicher „Chef“ in dieser Arbeit fungiert. Der Erwachsenen-Anteil ist diejenige Seite von dir, die in der Lage ist, bewusst und reflektiert zu handeln, die Verantwortung übernimmt und die verschiedenen inneren Anteile erkennt und mit ihnen arbeitet. Hierbei hilft dem Erwachsenen-Anteil unsere Fähigkeit zu beobachten. Deshalb sprechen wir beim Erkennen der verschiedenen Anteile auch vom Beobachter-Anteil.
Der Beobachter-Anteil hilft uns dabei, uns selbst aus einer distanzierten Perspektive zu betrachten, ohne sofort in die alten Reaktionen oder Muster zu verfallen. Während der Erwachsenen-Anteil aktiv Verantwortung übernimmt und Entscheidungen trifft, kann der Beobachter-Anteil uns ermöglichen, uns selbst objektiv zu sehen und unsere inneren Anteile zu erkennen, ohne uns von ihnen überwältigen zu lassen.
So wird in der Arbeit mit den inneren Anteilen der Erwachsenen-Anteil zu der Quelle, die alle inneren Teile integriert und ihnen einen Raum gibt, in dem sie gehört und verstanden werden können, während der Beobachter-Anteil dabei hilft, die eigene Reaktion auf diese Anteile zu reflektieren.
Zusammenarbeit zwischen Erwachsenen-Anteil und Beobachter-Anteil
In einer Diskussion mit meinem Mann triggert mich eine seiner Bemerkungen. Ich höre gar nicht mehr, was er sagt, weil in mir alles auf Abwehr geht. Ich werde wütend. Mein Erwachsenen-Anteil lässt mich das Gespräch beenden, weil er nicht will, dass die Wut ihre zerstörerische Kraft entfaltet. Bin ich mit mir allein, geht der Beobachter-Anteil auf Erkundungstour: Welcher Anteil ist gerade wütend und warum? Seine Erkenntnisse teilt er dem Erwachsenen-Anteil mit. Dieser geht in Kontakt mit dem wütenden Anteil und findest heraus, dass dieser das Gefühl hatte, mein Mann stellt meine Wahrnehmung infrage. Weil dies in meiner Kindheit und Jugend oft der Fall war, dass meine Wahrnehmung als falsch oder übertrieben abgetan wurde, reagiert dieser Anteil heute sofort wütend. Das will er nicht mehr zulassen. Dieser Anteil ist nicht in der Lage, zu überprüfen, ob das wirklich die Absicht meines Gegenübers wahr. Er reagiert sofort mit Wut, um mich zu schützen. Der Erwachsenen-Anteil hört ihn, bedankt sich für den Hinweis und verspricht, dies im weiteren Verlauf des Gespräches mit meinem Mann zu klären. Erst nach diesem inneren Dialog bin ich wieder in der Lage, das Gespräch mit meinem Mann fortzusetzen. Im weiteren Verlauf dieses Gespräches wird klar, dass er mir meine Wahrnehmung nicht nehmen wollte. Er hat sie in seinen Ausführungen einfach als gesetzt angesehen und hat mir seine Wahrnehmung dargelegt.
Warum haben wir diese Anteile?
Unsere inneren Anteile entstehen nicht zufällig. Sie sind ein wesentlicher Teil unserer psychischen Struktur und bilden sich im Laufe der Kindheit und Jugend. Sie entstehen als Reaktion auf Erfahrungen, die wir in den ersten Jahren unseres Lebens gemacht haben, vor allem in den Bereichen der Bindung und des Überlebens. In schwierigen oder belastenden Situationen entwickeln wir Schutzmechanismen – innere Anteile – die uns helfen, zu überleben und uns anzupassen.
Diese Anteile sind nicht „störend“ oder „fehlerhaft“, sondern vielmehr Schutzmechanismen, die in der Vergangenheit einen Sinn ergeben haben. Sie haben uns geholfen, in einer bestimmten Situation zu überleben oder einen Weg zu finden, mit schwierigen Gefühlen umzugehen. Doch sie sind nicht immer in der Lage, die aktuellen Gegebenheiten richtig einzuschätzen. Der Anteil, der uns damals vor Überwältigung schützte, kann uns heute daran hindern, mit der Situation souverän umzugehen.
Ein paar Beispiele für innere Anteile
Das rebellische Kind: Vielleicht wurdest du als Kind ständig übersehen oder deine Bedürfnisse wurden nicht ernst genommen. Die Erwachsenen in deinem Umfeld waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Also hast du begonnen, negativ aufzufallen, um wenigstens irgendeine Art von Aufmerksamkeit zu bekommen. Du wurdest zu einem rebellischen Kind, das immer wieder Ärger bereitete. Zwar hast du damit nur negative Aufmerksamkeit auf dich gezogen, aber zumindest warst du nicht mehr unsichtbar. Im Erwachsenenalter könnte dieser Anteil dazu führen, dass du in schwierigen Situationen automatisch in den Widerstand gehst – vielleicht nicht immer sinnvoll, aber es fühlt sich sicherer an, sich zu wehren, als erneut übersehen zu werden.
Das empfindsame Kind: Vielleicht warst du ein besonders empfindsames Kind, doch die Erwachsenen in deinem Umfeld haben deine Wahrnehmung als „zu empfindlich“ abgetan. Du hast Dinge intensiver gespürt als andere, doch deine Gefühle wurden nicht anerkannt. Vielleicht hast du dich oft nicht verstanden gefühlt, als ob deine Fantasie zu groß oder deine Ängste zu irrational wären. Im Erwachsenenalter könnte dieser Anteil dazu führen, dass du dich immer noch unverstanden fühlst oder Schwierigkeiten hast, deine wahren Bedürfnisse in Beziehungen zu kommunizieren, aus Angst, erneut nicht gehört zu werden.
Das misstrauische Kind: Vielleicht hast du als Kind oft erlebt, dass dir nicht vertraut wurde oder du Vertrauen in andere Menschen verloren hast. Versprechen wurden nicht eingehalten, dir fehlte Unterstützung und Schutz. Als Reaktion darauf hast du gelernt, vorsichtig und zurückhaltend zu sein, den Menschen um dich herum nicht zu vertrauen oder ihre Absichten zu hinterfragen. Du hast angefangen, dich auf niemanden wirklich zu verlassen. Im Erwachsenenalter könnte dieser Anteil dazu führen, dass du Schwierigkeiten hast, echte Nähe und Bindung zuzulassen. Du bist möglicherweise ständig auf der Hut und misstrauisch, selbst wenn keine Gefahr besteht. Du fühlst dich sicherer, wenn du alles kontrollierst und niemandem vollständig vertraust, auch wenn du dir tief im Inneren eine liebevolle und vertrauensvolle Beziehung wünschst.
Wie erkenne ich meine inneren Anteile?
Die Herausforderung beim Erkennen unserer inneren Anteile liegt oft darin, dass sie sich nicht immer in den greifbaren, offensichtlichen Momenten zeigen. Sie wirken im Hintergrund, oft unbewusst, und leiten unsere Reaktionen und Entscheidungen, ohne dass wir es direkt merken. Diese Anteile halten oft an alten Überzeugungen fest und wiederholen Muster, die damals überlebenswichtig waren, aber heute keine Berechtigung mehr haben. Doch es gibt einige Zeichen, die dir helfen können, diese Anteile zu erkennen.
Ungewöhnliche Reaktionen in bestimmten Situationen
Hast du dich schon einmal gefragt, warum du in bestimmten Momenten plötzlich viel stärker oder emotionaler reagierst, als du es dir vorgenommen hast? Ein Beispiel: Du bist im Gespräch mit einem Freund oder einer Freundin, und plötzlich wird eine Kleinigkeit zu einem großen Streit. Du fühlst dich vielleicht unverhältnismäßig verletzt, obwohl es keine große Sache zu sein scheint. In solchen Momenten könnte ein innerer Anteil die Oberhand gewinnen – vielleicht der Anteil, der in der Kindheit oft übersehen oder kritisiert wurde und der heute in ähnlichen Situationen mit einem Mal an der alten Wunde kratzt.
Innere Stimmen – der Zwiespalt der Entscheidung
In bestimmten Situationen können innere Anteile wie „sich streitende Stimmen“ wirken. Stell dir vor, du stehst vor einer wichtigen Entscheidung, wie etwa der Frage, ob du einen neuen Job annehmen sollst. Die eine Stimme ruft: „Das ist deine Chance! Du musst es wagen, dieser Job könnte deine Karriere auf das nächste Level heben!“ Doch dann kommt die andere Stimme und sagt: „Es ist viel zu unsicher. Was, wenn du scheiterst? Bist du wirklich bereit, dich dieser Herausforderung zu stellen?“ In diesem Fall könnten diese Stimmen zwei innere Anteile widerspiegeln – der Teil in dir, der nach Sicherheit strebt und Angst vor Misserfolg hat (der „ängstliche Anteil“), und der Teil, der nach Wachstum und Veränderung strebt und bereit ist, Risiken einzugehen (der „mutige Anteil“). Indem du diese Stimmen erkennst, kannst du die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ängste verstehen, die in dir wirken und beeinflussen, wie du Entscheidungen triffst.
Wiederkehrende Muster
Achte auf Muster, die sich in deinem Leben immer wieder wiederholen – sei es in Beziehungen, im Beruf oder bei der Bewältigung von Konflikten. Vielleicht bemerkst du, dass du in bestimmten Situationen immer wieder in dieselbe Rolle fällst – etwa in einer Partnerschaft immer wieder die Rolle der „Versteherin“ oder „Friedenswächterin“, obwohl du selbst eigentlich nach mehr Nähe und Offenheit strebst. Oder du fühlst dich immer wieder übergangen, obwohl du dir mehr Respekt wünschst. Dies könnte ein Hinweis auf einen inneren Anteil sein, der in der Vergangenheit möglicherweise aus einer Situation entstanden ist, in der du dich unsichtbar oder nicht gehört gefühlt hast. Er versucht immer noch, dich zu schützen, obwohl dies heute nicht mehr der Realität entspricht.
Körperliche Wahrnehmung als Hinweis
Unsere inneren Anteile können sich auch körperlich bemerkbar machen. Ein innerer Anteil, der mit Angst oder Wut verbunden ist, kann körperliche Reaktionen hervorrufen – vielleicht spürst du ein enges Gefühl im Brustkorb oder einen flauen Magen, wenn du dich in einer belastenden Situation befindest. Oder du bist in einem wichtigen Gespräch, und plötzlich fühlst du, wie deine Hände schwitzen oder deine Atmung schneller wird. Diese körperlichen Reaktionen sind oft ein Zeichen dafür, dass ein innerer Anteil, der in der Vergangenheit auf Stress oder bedrohliche Situationen reagiert hat, noch immer aktiv ist. Dieser Anteil hat früher vielleicht dazu beigetragen, dich vor Gefahr zu schützen, indem er eine schnelle Reaktion ermöglichte. Heute kannst du jedoch lernen, diese körperlichen Signale zu entschlüsseln und zu verstehen. Das kann dir helfen, die Bedürfnisse deiner inneren Anteile zu erkennen, zu berücksichtigen und gleichzeitig angemessen auf die Situation heute zu reagieren.
Die Rolle der verletzten Anteile
Verletzte innere Anteile haben eine besonders starke Wirkung auf unser Leben, weil sie tief in unseren frühesten Erfahrungen und Überlebensstrategien verwurzelt sind. Diese Anteile entstanden oft in schwierigen oder schmerzhaften Phasen unserer Kindheit, in denen wir uns schützen mussten, um mit den erlebten Belastungen zurechtzukommen. Im Erwachsenenalter reagieren diese Anteile oft übermäßig auf Situationen, die an die ursprünglichen Schmerzen erinnern, und können uns in alten, heute oft destruktiven Mustern festhalten. Diese Anteile sind Schutzmechanismen, die uns noch immer helfen wollen, mit schwierigen oder gefährlichen Situationen zurechtzukommen. Während unsere stärkenden Anteile ebenfalls eine kraftvolle Wirkung auf unser Leben haben – sie helfen uns, zu wachsen und gesunde Entscheidungen zu treffen – ziehen uns die verletzten Anteile jedoch immer wieder in den Strudel der Vergangenheit und hindern uns daran, der Gegenwart angemessen zu handeln.
Warum war es wichtig, dass diese Anteile entstanden sind?
In der Kindheit sind wir in vielerlei Hinsicht abhängig von der Umwelt und den Erwachsenen, die uns umsorgen sollen. Wenn wir als Kinder mit Überforderung, emotionaler Kälte, Vernachlässigung oder anderen belastenden Erfahrungen konfrontiert sind, entwickeln wir Schutzmechanismen, um mit diesen Umständen zu überleben.
Wenn ein Kind in einer kritischen oder abwertenden Umgebung lebt, kann ein innerer Anteil entstehen, der das Kind zu einem Überlebenskampf anleitet. Dieser Anteil könnte zum Beispiel die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes in den Hintergrund stellen und dazu beitragen, dass das Kind sich den äußeren Erwartungen anpasst – um Anerkennung oder zumindest ein gewisses Maß an Liebe zu bekommen.
In einer solchen Situation war dieser Anteil sinnvoll, um in einer Umgebung zu bestehen, in der das Kind keine andere Möglichkeit hatte, die Aufmerksamkeit oder Anerkennung zu bekommen. Der Anteil hat das Kind „geschützt“, indem er es in den Modus der Anpassung und Unterdrückung von eigenen Bedürfnissen versetzte. Das Kind überlebte, aber zu welchem Preis?
Warum sind diese Anteile heute nicht mehr hilfreich?
Obwohl diese Anteile uns in der Kindheit geholfen haben, sind die Umstände heute oft ganz andere. Die Menschen, die uns damals verletzt haben oder deren Verhaltensweisen uns zu bestimmten Schutzreaktionen zwangen, sind nicht mehr in unserem Leben, oder wir befinden uns nicht mehr in der gleichen Abhängigkeit. Aber der Anteil, der einst durch die Kritik oder Vernachlässigung entstand, agiert heute vielleicht in völlig anderen Kontexten weiterhin so, als wäre die Bedrohung noch akut.
In der Kindheit hast du gelernt, dich selbst ständig zu kritisieren, weil du nie genug Lob bekommen hast. Diese innere Kritikerin kann dich im Erwachsenenalter sabotieren. Vielleicht bist du heute in einem Umfeld, in dem du Erfolg hast, aber dieser Anteil sagt dir ständig, dass du nicht gut genug bist und du noch härter arbeiten musst, um Anerkennung zu bekommen. Obwohl du heute objektiv in einer besseren Situation bist, bleibt dieser innerliche Anteil aktiv und verhindert, dass du dich wirklich als erfolgreich oder ausreichend empfindest.
So kannst du mit verletzten inneren Anteilen arbeiten
Die Arbeit mit verletzten inneren Anteilen ist ein tiefgehender Prozess, der dabei hilft, alte Wunden zu integrieren und dich selbst besser zu verstehen. Oft bemerkst du diese Anteile in deinen Beziehungen oder in stressigen Situationen.
Ein Beispiel: Du bist krank, dein Partner ist jedoch in seinen eigenen Gedanken vertieft und gibt dir „nur“ die minimale Aufmerksamkeit, wie einen Tee oder ein verständnisvolles Lächeln. In diesem Moment empfindest du die Fürsorge als viel zu wenig, obwohl dein Partner sich Mühe gibt. Der innere Anteil, der aus deiner Kindheit stammt, fühlt sich jedoch nicht ausreichend umsorgt und bleibt enttäuscht zurück. Diese Enttäuschung kommt nicht vom aktuellen Moment, sondern von einem alten, verletzten Anteil, der in der Kindheit nie genug Liebe oder Fürsorge erfahren hat.
Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht die Aufgabe deines Partners oder anderer Menschen ist, die Bedürfnisse zu erfüllen, die in der Kindheit unbefriedigt geblieben waren. Oft verfallen wir in die Erwartung, dass der andere die Rolle einnehmen muss, die damals nicht von den Eltern oder Bezugspersonen erfüllt wurde. Doch die Verantwortung für diese Erfüllung liegt heute (leider) bei uns selbst. Wünsche ich mir Beziehungen auf Augenhöhe, ist die Befriedigung dieser alten Bedürfnisse meine Aufgabe. Das bedeutet nicht, dass ich mir nicht Unterstützung wünschen darf, aber was und wie viel der / die andere bereit ist zu geben, liegt in der Verantwortung dieser Person. Heißt, die Hauptverantwortung für einen liebevollen und nährenden Umgang mit mir liegt bei mir selbst.
In diesem Abschnitt zeige ich dir, wie du mit deinen verletzten inneren Anteilen arbeiten kannst, um deine Bedürfnisse zu befriedigen und dich selbst zu nähren. Die Arbeit mit diesen Anteilen ist kein Prozess, bei dem wir uns auf andere verlassen müssen, sondern ein Akt der Selbstfürsorge und Selbstverantwortung. Sie erfordert Zeit, Geduld und vor allem Selbstmitgefühl.
Erkennen und Annehmen der Anteile
Der erste Schritt besteht darin, die verletzten Anteile in dir zu erkennen. Oft manifestieren sich diese Anteile in Form von emotionalen Reaktionen oder unbewussten Mustern, die du immer wieder in deinem Leben erlebst. Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass du nicht wertend auf diese Anteile blickst. Sie sind ein Teil deiner Geschichte und haben ihren Ursprung in den Erfahrungen, die du als Kind oder Jugendliche gemacht hast. Akzeptiere sie als solche, ohne sie zu verurteilen oder zu versuchen, sie abzulehnen. Die Anerkennung dieser Anteile ist entscheidend, damit du mit ihnen in Kontakt treten und ihre Bedürfnisse verstehen kannst.
Beispiel: Wenn du in einer Beziehung immer wieder das Gefühl hast, dass du nicht genug Aufmerksamkeit bekommst, könnte dies ein Hinweis auf einen verletzten inneren Anteil sein, der als Kind nie ausreichend Fürsorge erhalten hat. Indem du diesen Anteil anerkennst, spürst du vielleicht eine Trauer in dir, die du bisher nicht wahrhaben wolltest, die sich aber genauso wie die Traurigkeit, die du in Bezug auf deine aktuelle Beziehung empfindest. Dieser Anteil verhindert vielleicht, dass du die Aufmerksamkeit, die dir heute zuteilwird, gar nicht wahrnehmen kannst. Indem du anerkennst, wie es sich früher für dich angefühlt hat, du der alten Traurigkeit Raum gibst und betrauerst, was dir damals fehlte, schaffst du Raum in dir, die aktuellen Erfahrungen neu betrachten und einordnen zu können.
Mitgefühl und Verständnis entwickeln
Der nächste Schritt ist, Mitgefühl für diesen Anteil zu entwickeln. Dieser Anteil hat sich entwickelt, um dich vor weiterem emotionalem Schmerz zu schützen. Es geht darum, diesen Anteil zu verstehen und ihm die gleiche Fürsorge zukommen zu lassen, die du dir als Kind gewünscht hättest.
Praktische Übung: Versuche, in einen inneren Dialog mit diesem Anteil zu treten. Stell dir vor, du würdest einem Kind, das sich nach Liebe und Aufmerksamkeit sehnt, gegenüberstehen. Was würde dieses Kind sich wünschen, was würde es brauchen, um sich sicher und geborgen zu fühlen? Du kannst diesen Anteil in einem sicheren, meditativen Zustand oder auch schriftlich ansprechen. Indem du ihm zuhörst und ihn ernst nimmst, baust du eine neue, gesunde Beziehung zu diesem Anteil auf. Sprich zu ihm in einem liebevollen, beruhigenden Ton, wie du es zu einem verletzten Kind tun würdest.
Die Bedürfnisse des Anteils ansprechen
Jeder verletzte Anteil hat tief verwurzelte Bedürfnisse, die nie erfüllt wurden. Diese Bedürfnisse zu erkennen und zu benennen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Befriedigung dieser alten Bedürfnisse. Es geht darum, dir selbst das zu geben, was du als Kind gebraucht hättest – Aufmerksamkeit, Fürsorge, Akzeptanz, Liebe.
Praktische Übung: Schreibe auf, welche Bedürfnisse dieser Anteil in der Vergangenheit hatte und welche er heute noch hat. Wie kannst du dir diese Bedürfnisse heute erfüllen? Vielleicht bedeutet es, dass du dir selbst mehr Anerkennung schenkst oder du gesunde Grenzen setzt und nicht mehr die Verantwortung für die Bedürfnisse anderer übernimmst. Was wünscht er sich konkret? Tröste ihn, wenn er Trost braucht. Ist er traurig, lass ihm den Raum zum Trauern und Weinen. Will er gemeinsam mit dir einen Märchenfilm schauen? Dann schau mit ihm einen Märchenfilm. Hör zu, sei da und sei liebevoll. Der Anteil wird es dir danken, indem er sich mit dir entspannt.
Befriedung durch neue Erfahrungen
Die Befriedigung der Bedürfnisse des verletzten Anteils erfordert neue Erfahrungen, die dem alten Muster widersprechen. Wenn du als Kind oft übersehen oder missverstanden wurdest, ist es wichtig, heute neue Erfahrungen zu sammeln, bei denen du dich gesehen, gehört und angenommen fühlst. Dies können kleine Schritte sein, wie zum Beispiel, dir selbst regelmäßig positive Bestätigung zu geben oder dich bewusst in Situationen zu bringen, in denen du dich unterstützt und respektiert fühlst.
Übung: Wenn du als Kind nie das Gefühl hattest, genug zu sein, dann übe heute, dich selbst zu loben und dir zu sagen: „Ich bin genug. Ich bin stolz auf das, was ich tue.“ Indem du diese neuen Erfahrungen sammelst, ermöglichst du deinem inneren Anteil, sich von den alten Mustern zu lösen und zu einem gesünderen Selbstbild zu finden. Und nein, Selbstlob stinkt nicht, es ist Ausdruck deiner Wertschätzung für dich selbst.
Professionelle Unterstützung suchen
Die Arbeit mit verletzten inneren Anteilen kann herausfordernd und emotional intensiv sein. Es kann hilfreich sein, mit einer Therapeutin oder Coachin zusammenzuarbeiten, um diesen Prozess sicher und nachhaltig zu gestalten. Eine erfahrene Begleitung kann dir helfen, deine Anteile besser zu verstehen, deine alten Muster zu erkennen und neue Wege der Integration und Befriedigung zu finden.
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