Das Haus
Sie griff nach ihren Zigaretten und streifte dabei mit dem Arm ihr Portemonnaie vom Tisch. Wie aus weiter Entfernung, als würde es sie nichts angehen, folgte ihr Blick dem Flug der sich öffnenden Börse. Noch bevor Franka realisiert hatte, was geschah, schob sich eine Hand in ihr Blickfeld und sammelte das am Boden Liegende zusammen.
„Ihr Mann?“ Die Hand hielt ihr ein Foto entgegen, während die andere Hand den restlichen Inhalt des Portemonnaies auf den Tisch legte. „Ja.“ antwortete Franka, während ihr Blick langsam von der Hand zum Gesicht des Fragers schwenkte. „Er ist zu Hause, in Berlin.“ Franka holte tief Luft und lächelte. „Wollen Sie sich nicht setzen?“ Mit den Worten „Franka Simonis, nicht verwandt mit Heide.“ streckte sie dem Unbekannten ihre Hand entgegen. Fest und unerwartet warm erwiderte er ihren Händedruck.
„Johannes Brinkshaw. In Vitte geboren und hier verwurzelt. Ich hab es versucht, aber ich komme hier einfach nicht weg.“ Mit diesen Worten zog er den Stuhl vom Tisch und setzte sich. „Martin, mach mal zwei Schwatten“ rief er dem Wirt des Café Kanne zu.
„Für mich bitte nur Kaffee“ protestierte Franka „Wodka vertrag ich nicht“.
Johannes lachte. „Ich bin der Inselfischer, der Feuerwehrmann und der Rettungssanitäter, da passiert Ihnen schon nichts.“ Ehe Franka etwas erwidern konnte, stellte der Wirt die Getränke auf den Tisch.
„Und außerdem gehören ihm fünf der zwölf Hiddenseer Bootstaxen.“ Der wird grinst. Johannes ignoriert ihn und fragt Franka: „Aber was treibt Sie in diesem ungemütlichen Herbst zu uns?“
Bevor Franka antwortete, zog sie eine F6 aus der zerknitterten Schachtel, zündete sie an, inhalierte. „Ich mache hier so etwas wie eine Klausur, ich muss einfach mal allein sein“ Sie rollte die Zigarette zwischen den Fingern. „Franz, mein Mann, hat ohne mich zu fragen beschlossen den Job zu wechseln. Er wird jetzt Geschäftsführer bei Mediplay. Sein Traumjob. Er hat ja Recht, dann haben wir endlich Geld für ein Kind. Aber ich will ein Kindnicht allein erziehen? Ich will nicht nur für Kind und Haushalt da sein, während er, der große Geschäftsmann, uns am Wochenende mal besuchen kommt. Dafür will ich meinen Beruf nicht aufgeben.“ Franka schüttelte den Kopf und wischte mit dem Handrücken eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Haben Sie Kinder?“ fragte Franka während sie die Zigarette ausdrückte und Johannes in die Augen sah. Von dieser plötzlichen Aufmerksamkeit überrascht, versuchte er sein Erröten hinter der hastig ergriffenen Kaffeetasse zu verbergen.
Die ganze Zeit hatte er sie beobachtet. Wie sie erzählte, den Blick aufs herbstlich zerzauste Meer gerichtet. Wie die etwas zu kurz geratenen Finger nervös an der Zigarette herumdrückten. Hatte auf den blassen Mund in dem noch blasser wirkenden Gesicht geschaut.
„Nein, leider, keine Kinder. Dafür braucht es eine Frau und ehrlich gesagt, mir laufen alle davon.“ Aus dem Augenwinkel registrierte Johannes das Aufblitzen von Wachsamkeit in Frankas Augen. „Nicht falsch verstehen“ rechtfertigte er sich „nicht ich bin das Problem, die Insel ist es. Ihr Städterinnen findet es hier für einen Urlaub idyllisch, aber hier leben?“ Obwohl er sich bemühte, es gelang ihm nicht ganz, den bitteren Unterton aus seiner Stimme herauszuhalten. „Und bevor Sie fragen, hier gibt es genau 7 Frauen in meinem Alter, eine Auswahl, mit der eine Städterin sich auch nicht begnügen würde!“ Frankas herzhaftes Lachen wirkte auf Johannes entspannend. „So ist das eben mit mir, ich kann mit den Frauen von der Insel nichts anfangen und die Frauen aus der Stadt laufen mir davon.“
„Also ist die Bindung an die Insel stärker als die Liebe?“ fragte Franka.
„Ich weiß nicht, existentieller vielleicht. In der Stadt fühle ich mich so fremd mit mir, dass ich die Liebe verliere. Ich glaube, ich kann nur hier auf der Insel lieben.“
Franka lachte: „Von der Krankheit hab ich ja noch nie gehört.“
Johannes ließ sich von Frankas Lachen anstecken. „Wurzeln sind das. Mein Ururgroßvater stammt hier von der Insel. Sein Sohn war Gärtner bei Asta Nielsen.
„Im Haus von Max Taut?“ rief Franka aus. „Der Rundbau?“
„Sind Sie Architektin oder so? Das weiß sonst niemand.“ Johannes rückte seinen Stuhl ein wenig vom Tisch ab und musterte Franka so, als würde er sie erst jetzt wirklich wahrnehmen.
„Mein Vater war Architekt und überall hingen bei uns die Bilder von dem Haus.“ Franka klemmte sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen das Haus. Habe es vor vier Jahren von einem dieser Pleitespekulanten gekauft.“
Franka und Johannes schwiegen eine Weile. Franka in der Erinnerung an ihren Vater versunken, Johannes den Blick auf Franz Foto gerichtet. Das Foto schien in dem Schweigen zwischen den beiden zu wachsen, es nahm mehr und mehr Raum ein. Franka zündete erneut eine Zigarette an. Sie inhalierte tief und blies Rauchringe in die Luft. Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, nahm einen 10€ Schein aus ihrer Börse und legte ihn auf den Tisch. Sie packte das Foto, das Portemonnaie und ihre Zigaretten in die Tasche. Johannes sah ihr stumm zu.
„Nun kommen Sie schon“ forderte Franka ihn auf „denken Sie etwa ich lasse mir so ein Angebot entgehen?“
Zwei Tage später. Johannes erwartete Franka zum Abendessen. Die vergangenen Tage waren sie viel am Strand spazieren gegangen, oder hatten Wein getrunken und sich angeregt vor seinem Kamin unterhalten. Auch an diesem Tag wärmte das Holzfeuer den großen Raum. Beide sahen schweigend aus dem Fenster. Über dem Schilf am nahen Ufer ging die Sonne unter.
„Ich kann nicht verstehen, wie eine Frau diesen Ort freiwillig verlassen kann“ sagte Franka in den Raum.
„Dann bleib!“ antwortete Johannes.
„Und Franz?“ fragte Franka und trat noch näher an das Fenster. Johannes legte seinen Arm um Frankas Schulter. „Du musst Dich nicht entscheiden. Nicht jetzt.“
Am nächsten Morgen, das Kaminfeuer war fast erloschen, das runde Haus vom kühlen Licht der frühen Stunde erleuchtet, saß Franka in einen von Johannes Pyjamas gekuschelt auf dem Teppich vor dem Kamin. In ihrer Linken eine Zigarette, in der Rechten ein Glas Cabernet. Vor ihr auf dem Boden lagen ihr Handy, ein Schlüsselbund und ein Zettel.
„Bin auf dem Festland. Wenn Du gehst, zieh die Tür hinter Dir zu und wirf den Schlüssel in den Briefkasten. Wenn Du übermorgen noch hier bist, wirst Du mein Frühstück sein. Kuss. Johannes“
Aus diesem Plot – eine Schreibaufgabe im Rahmen der Prosawerkstatt 2009 – entstand die Geschichte:
Franz und Franka lieben sich innig. Franka ist schon 39 Jahre. Beide wünschen sich ein Kind, haben aber wenig Geld zur Verfügung. Da bekommt Franz den Posten eines Geschäftsführers angeboten. Mehr Geld würde aber auch weniger Zeit bedeuten. Franka ist hin- und her gerissen und nimmt sich eine „Auszeit“ auf einer Insel. Dort lernt sie einen charmanten Mann kennen.
© Sylvia Tornau, 2010
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