Dramatisieren: Warum wir überreagieren und Notfallplan
Im Dezember spielen bei vielen Menschen die Emotionen verrückt. Dies zeigt sich mir in den Trauma-Coachings, in denen sich vermehrt zwei Muster zeigen: Bagatellisieren und das Dramatisieren. Den Blogartikel über das Muster der Bagatellisierung findest du hier: „Selbstschädigung durch Bagatellisierung: ‚Bei mir war es doch nicht so schlimm‘.“ Diesen Beitrag widme ich dem Muster der Dramatisierung.
Beide Muster haben denselben Ursprung: Das Gehirn und die Psyche versuchen, Kontrolle über überwältigende Erfahrungen zu gewinnen. Das Gehirn reagiert auf traumatische Erfahrungen mit einer Dysregulation der Stressverarbeitung, die in der Psyche als Schutzmechanismus sichtbar wird. Bagatellisieren und Dramatisieren sind Versuche, mit dieser Dysregulation umzugehen. Beide Mechanismen dienen in der Kindheit oft dem Überleben, können uns aber im Erwachsenenalter behindern, wenn sie nicht reflektiert und bearbeitet werden.
In diesem Beitrag beleuchte ich die Gründe dafür, warum manche Menschen eher bagatellisieren und andere dramatisieren und welche Auswirkungen dies langfristig auf unser Wohlergehen hat. Dramatisieren kann sich langfristig ebenso zu einer Form der Selbstschädigung entwickeln, wie bagatellisieren. Warum das so ist und was dir dabei hilft, aus diesem Kreislauf auszusteigen, erfährst du hier.
Manchmal erscheint das Drama größer als die Situation, weil die Wurzeln tief in der Vergangenheit liegen.
- Warum ich über Selbstschädigung durch Dramatisierung schreibe
- Bagatellisierung und Dramatisierung sind Schutzmechanismen
- Zentrale Einflussfaktoren für die Entstehung des Dramatisierung-Musters
- Warum wir dramatisieren
- Du wünschst dir Unterstützung?
- Wenn du dich in einem emotionalen Drama verlierst – dein Notfallplan
- 3 Tipps für Menschen, die sich in einem Drama dauerhaft gefangen fühlen
- Notfallplan für Unterstützer:innen
Warum ich über Selbstschädigung durch Dramatisierung schreibe
Menschen, die dramatisieren, stoßen in ihrem persönlichen Umfeld häufig auf Ablehnung und Unverständnis. Ihre Reaktionen auf aktuelle Situationen werden als übertrieben angesehen und häufig mit dem Urteil „will sich wichtig machen“ oder „jetzt übertreibt sie wieder“ abgetan. Nicht selten werden die Dramaqueens und Dramakings ungerechtfertigt als „psychisch krank“ oder „viel zu sensibel“ abgestempelt. Bei Menschen, bei denen sie dennoch Unterstützung finden, treffen sie nicht selten auf Ohnmacht und Hilflosigkeit. Auch für diese Unterstützer:innen schreibe ich diesen Beitrag.
Ebenso häufig wie die Fremdabwertung ist die Selbstabwertung. Dramatisierung zieht den eigenen Wert wie in einer Abwärtsspirale in ein schwarzes Loch, in dem jegliche Hoffnung verloren scheint. Dort angekommen gibt es kein Licht, keine Hilfe, nichts mehr, was diesen Zustand der Seelenpein beenden kann. Das eigene Selbst wird in ätzender Säure von Selbstvorwürfen und Schmerzen gebadet und alle Kompetenzen, Ressourcen, Möglichkeiten scheinen sich aufzulösen. Zurück bleibt das Selbst als ein verwundeter und gehäuteter Klumpen, gerade noch fähig zu atmen und wider Willen zu jammern. Als ehemalige Borderlinerin ist mir dieser Zustand in der Erinnerung noch sehr vertraut. Daher weiß ich auch, dass es keine schnellen Lösungen gibt. Aus der Dramatisierung herausgeholfen hat mir das Konzept der radikalen Akzeptanz (Akzeptanz – was ist das?), und das Erkennen und die Verarbeitung früher Traumata und nicht zuletzt eine Menge unscheinbar wirkender Übungen und Atemtechniken, die ich früher als Pillepalle abgetan hätte.
Hinter dem lauten Drama liegt oft eine stille Sehnsucht nach Verständnis und Annahme.
Mit diesem Beitrag möchte ich dich bestärken, indem ich einerseits in dir und andererseits in anderen Menschen Verständnis für das Muster der Dramatisierung mittels Hintergrundinformationen wecken möchte. Gleichzeitig gebe ich dir und den Menschen, die dich unterstützen wollen, Notfallpläne an die Hand, mittels derer Auswege aus akuten Situationen möglich werden.
Bagatellisierung und Dramatisierung sind Schutzmechanismen
Das Wichtigste vorab: Bagatellisierung und Dramatisierung sind Schutzmechanismen. Sie wurden vom inneren System entwickelt, um das Überleben zu sichern. Alles, was in uns an Mustern entsteht, dient unserem Überleben, auch wenn es später zulasten unserer Lebendigkeit und Beziehungsfähigkeit geht. Kaum zu glauben und doch half mir diese Erkenntnis, die Dramatisierung als ein Muster von mir anzunehmen und zu verstehen, warum sie in mir als Reaktionsmuster entstanden war.
Dieser Schutzmechanismus dient als
- Ventil für aufgestaute Emotionen: Wenn die Gefühle nicht im Moment des Traumas verarbeitet werden konnten, brechen sie später in scheinbar unpassenden Situationen hervor, oft stärker als erwartet.
- Bedürfnis nach Validierung: Durch die Überbetonung sollen Schmerz und Leid, die bisher übersehen oder nicht ernst genommen wurden, endlich wahrgenommen und erkannt werden. Das Dramatisieren kann auch dazu dienen, sich selbst die Bedeutung zu geben, die man vielleicht von außen nicht bekommt.
- Warnsystem: Das Nervensystem, das nach einer traumatischen Erfahrung oft in der Überregung (Hyperarousal) bleibt, neigt dazu, alltägliche Ereignisse als bedrohlicher oder intensiver wahrzunehmen und will uns so vor einer Wiederholung dieser Erfahrung warnen.
Wie das Gehirn und die Psyche auf überwältigende Erfahrungen reagieren
Als Reaktion auf überwältigende traumatische Erlebnisse aktiviert das Gehirn eine Stressreaktion, bei der drei zentrale Bereiche eine wichtige Rolle spielen:
- Amygdala (Alarmzentrum): Die Amygdala erkennt Gefahr und löst die „Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktion“ aus. Sie wird in der traumatischen Situation hyperaktiv und bleibt oft in einem „Alarmzustand“. Dadurch werden später harmlose Situationen manchmal als bedrohlich wahrgenommen oder als unwichtig abgetan, weil das System überfordert ist.
- Hippocampus (Gedächtnis): Der Hippocampus ordnet Erlebnisse in den zeitlichen Kontext ein („Das ist Vergangenheit“). Bei überwältigenden Erfahrungen wird der Hippocampus jedoch „abgeschaltet“ – die Erlebnisse bleiben fragmentiert und fühlen sich an, als wären sie noch gegenwärtig. Das kann zu einer Überreaktion (Dramatisieren) oder zu einer emotionalen Distanzierung (Bagatellisieren) führen.
- Präfrontaler Cortex (Denkzentrum): Dieser Bereich reguliert Emotionen und hilft, die Reaktion der Amygdala zu bremsen. In einer überwältigenden Situation wird der präfrontale Cortex unterdrückt, wodurch rationale Entscheidungen oder eine ausgewogene Wahrnehmung schwerfallen. Anstelle derer übernehmen die emotionalen Schutzmechanismen dann die Kontrolle.
Das alles kann zu einer Dysregulation des Nervensystems führen, was bedeutet, dass das Nervensystem durch eine unverarbeitete traumatische Erfahrung in einen Zustand der Über- oder Untererregung versetzt wurde. Das innere System sucht nach Wegen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, wählt jedoch manchmal unbewusste, der aktuellen Situation nicht angemessene und somit nicht hilfreiche Strategien wie Bagatellisierung oder Dramatisierung.
Bagatellisieren und Dramatisieren sind also keine „Charakterschwächen“, willkürlich gewählte bewusste Verhaltens- und Reaktionsweisen, sondern es sind Überlebensstrategien, mittels derer das Gehirn und die Psyche versuchen, Kontrolle über überwältigende Erfahrungen zu gewinnen. Beide Strategien können darauf hinweisen, dass das Nervensystem Unterstützung braucht, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Trauma speichert sich im Körper, und das Drama ist oft der Ausdruck dessen, was wir nicht in Worte fassen können.
Zentrale Einflussfaktoren für die Entstehung des Dramatisierung-Musters
Ob sich das Muster des Dramatisierens als Schutzstrategie entwickelt, hängt von einer komplexen Wechselwirkung aus familiären Reaktionen, Umweltbedingungen und persönlichen Eigenschaften ab. Die Strategie des Dramatisierens ist in der Kindheit eine sinnvolle Anpassung, um mit schwierigen Bedingungen umzugehen, kann im Erwachsenenalter aber belastend werden. Durch Bewusstmachung und gezielte Arbeit an den zugrunde liegenden Verletzungen lässt sich dies verändern. Im Folgenden beschreibe ich die zentralen Einflussfaktoren für die Entstehung des Musters.
Emotionale Reaktionen der Bezugspersonen
Die Art, wie Eltern oder andere Bezugspersonen auf die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes reagieren, spielt eine Schlüsselrolle. Wenn die Bezugspersonen nur dann aufmerksam oder fürsorglich reagieren, wenn das Kind besonders laut, intensiv oder übertrieben seine Gefühle zeigt, entwickelt sich das Muster des Dramatisierens. Das Kind lernt: „Nur wenn ich es übertreibe, werde ich dazugehören.“
Umgang mit Konflikten und Belastungen im Umfeld
Das kindliche Verhalten wird beeinflusst davon, wie die Familie Konflikte und Stress verarbeitet. In Familien, in denen Emotionen ständig eskalieren oder Konflikte dramatisch ausgetragen werden, übernimmt das Kind diese Strategie als Normalität. Dramatisieren wird zu einer Methode, um sich Gehör oder Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Traumatische Erfahrungen und Überforderung
Erfahrungen von Vernachlässigung, Missbrauch oder anderen Traumata beeinflussen die Entstehung des Musters ebenfalls. Ein Kind, das verzweifelt versucht, Hilfe zu bekommen, kann in Übertreibung und starke Emotionen verfallen, wenn frühere, „normale“ Signale unbeachtet blieben. Das Nervensystem bleibt in einem Zustand der Überregung, was durch intensive emotionale Ausbrüche begünstigt wird.
Persönlichkeitsmerkmale und Temperament
Das individuelle Temperament des Kindes beeinflusst, welches Muster sich ausprägt. Kinder, die temperamentvoll, extrovertiert oder impulsiv sind, zeigen ihre Emotionen von der Natur aus intensiver und entwickeln daher leichter ein dramatisierendes Muster.
Geschwisterposition und Familiendynamik
Die Rolle des Kindes innerhalb der Familie kann ebenfalls entscheidend sein. Ein jüngeres Kind, das sich gegen ältere Geschwister behaupten muss oder oft übergangen wird, kann das Dramatisieren nutzen, um Aufmerksamkeit zu erlangen und seinen Platz in der Familie einzunehmen.
Kulturelle und gesellschaftliche Normen
Auch die kulturelle Prägung beeinflusst, wie Kinder ihre Gefühle ausdrücken. In Umfeldern, in denen emotionale Offenheit und expressive Kommunikation gefördert werden, kann sich das Dramatisieren leichter entwickeln.
Das wahre Geschenk liegt darin, das Drama als Hinweis auf das zu erkennen, was in uns nach Frieden ruft.
Warum wir dramatisieren
Beim Dramatisieren wird die Bedeutung oder Wirkung einer Situation überbetont. So deutete ich etwa das „Nein“ einer anderen Person auf eine Bitte von mir als Ablehnung meiner Person und nicht als das, was es ist, die Ablehnung einer Bitte. Oder ich hatte Fieber und konnte nicht aufstehen. Dies löste Gefühle von Sinnlosigkeit und Nutzlosigkeit aus. Mich selbst regelmäßig im Strudel negativer Emotionen wie Angst und Trauer zu finden, schleuderte mich mehr als einmal aus der Bahn. Mit meinen Depressionen und der aufgestauten Wut, meinem Hadern mit dem Leben zweifelte ich an meiner Daseinsberechtigung und an meinen Fähigkeiten, für mein Kind zu sorgen. In diesen dunklen Momenten dachte ich gar, sie wäre überall anders besser aufgehoben als bei mir, für sie wäre es besser, es gäbe mich gar nicht. Verstanden hat diese Reaktionen damals niemand, am wenigsten ich selbst.
Dramatisieren bedeutet Schutz durch Überreaktion. Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Amygdala bleibt nach einem unverarbeiteten traumatischen Erlebnis in einem Dauer-Alarmzustand. Jedes kleine Signal wird potenziell bedrohlich wahrgenommen, und der präfrontale Cortex kann die Emotionen nicht ausreichend regulieren. Der Hippocampus fragmentiert das aktuelle Erlebnis, wodurch es sich stärker oder chaotischer anfühlt, als es tatsächlich ist. Die Psyche „bläst“ Erlebnisse auf, um die an die traumatische Erfahrung gebundenen Emotionen sichtbar zu machen oder um sich selbst zu bestätigen, dass das Erlebte wirklich passiert ist.
Beim Dramatisieren geht es also um tief verwurzelte Schutz- und Bewältigungsmechanismen, die durch unverarbeitete traumatische Erlebnisse entstehen. Menschen, die dramatisieren, stehen oft unter einem inneren Druck, ihre Gefühle und Erfahrungen „sichtbar“ zu machen – für sich selbst, aber auch für andere. Das Dramatisieren lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Hilfe bekommen, verstanden werden oder das Erlebnis zu verarbeiten sind die Ziele. Durch überfrachtete Emotionen bleibt die dramatisierende Person aber in der Überregung gefangen.
Das Drama ist nicht das Problem, sondern ein Wegweiser: Es zeigt, wo die Wunde sitzt.
Wirkungen von Dramatisierung – ein paar Beispiele
- Gefühle der Unsichtbarkeit oder Ungerechtigkeit: Menschen, die dramatisieren, haben oft das Gefühl, dass ihre Schmerzen, Bedürfnisse oder Erlebnisse von anderen ignoriert, bagatellisiert oder missverstanden wurden. Sie erleben die Welt als ungerecht. Dramatisieren wird so zu einem Versuch, sich „Raum“ zu schaffen und das eigene Leid sichtbar zu machen. Dahinter verbirgt sich ein tiefes Bedürfnis nach Anerkennung und Verständnis.
- Emotionale Überladung: Erlebnisse, die nicht verarbeitet wurden, stauen sich wie eine innere Überladung auf und entladen sich dann in übersteigerten emotionalen Reaktionen. Die betroffene Person nimmt den aktuellen Anlass oft als viel schlimmer wahr, weil alte, unverarbeitete Gefühle mitschwingen. Dahinter verbergen sich Gefühle wie Angst, Überforderung oder Ohnmacht.
- Versuch, Kontrolle zurückzugewinnen: Eine traumatische Erfahrung bedeutet häufig auch Kontrollverlust. Dramatisieren kann ein Weg sein, sich diese Kontrolle zurückzuholen. Indem der eigenen Erfahrung durch übersteigerte Darstellung Bedeutung verliehen wird, entsteht ein Gefühl von Macht über die Situation oder das Umfeld. Dahinter verbirgt sich der Wunsch nach Stabilität und Sicherheit.
- Erschöpfung durch innere Anspannung: Das Nervensystem traumatisierter Menschen befindet sich oft in einem Zustand der Übererregung (Hyperarousal). Diese Anspannung wird kurzfristig durch „emotionales Ausbrechen“ erleichtert. Es ist wie ein Überdruckventil, das sich öffnet, weil das System keine Kapazität mehr hat, die Gefühle zu halten. Die entstehende Erleichterung hält meist nicht lange an, sondern wird häufig von Scham oder Schuld abgelöst.
- Die Rolle der Umwelt: Dramatisierendes Verhalten kann sich verstärken, wenn jemand das Gefühl hat, dass er/sie nur auf diese Weise Aufmerksamkeit oder Fürsorge bekommt. Die Umwelt reagiert auf dramatisches Verhalten mitunter genervt oder ablehnend. Dies verstärkt die Gefühle von Ablehnung und Nicht-Verstanden-Werden. So verstärkt sich das Muster: „Sie nehmen mich nicht ernst, also muss ich noch lauter werden.“ Dahinter liegen die Emotionen Einsamkeit, Enttäuschung und Wut.
Das Drama verliert seine Macht, wenn wir uns selbst in der Tiefe unseres Schmerzes begegnen.
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Wenn du dich in einem emotionalen Drama verlierst – dein Notfallplan
Dieser Notfallplan soll dich unterstützen, wenn du merkst, dass du dich in einem emotionalen Drama verlierst. Der Fokus liegt hier darauf, dich wieder zu erden, deine Kontrolle über die Emotionen zurückzugewinnen und dir einen sicheren inneren Raum zu schaffen. Dieser Notfallplan ermöglicht dir, in schwierigen Momenten handlungsfähig zu bleiben und das Drama Stück für Stück loszulassen. Wenn du in Situationen übst, in denen du nicht im Drama gefangen bist, wirst du feststellen, dass du dann, wenn es nötig ist, schneller aus der emotionalen Überflutung herauskommst. Suche dir die Übungen aus, die zu dir passen, und bleibe dran, auch wenn dein Kopf dir erzählt, dass das alles ohnehin nichts bringt. Glaube mir, dein Körper ist manchmal schlauer als dein Kopf.
Nimm wahr, dass du „im Drama“ bist
Bewusstheit bringt dich aus der automatischen Spirale der Emotionen heraus und gibt dir eine Chance, etwas zu ändern. Deshalb besteht der erste Schritt darin, das eigene Verhalten bewusst zu erkennen, ohne dich dafür zu verurteilen. Sag dir selbst: „Ich bin gerade völlig überwältigt, und das ist okay. Ich kann mich jetzt darum kümmern.“
Atme bewusst
Tiefes Atmen beruhigt dein Nervensystem und hilft dir, aus der Übererregung auszusteigen. Wenn du merkst, dass alles „zu viel“ wird, halte kurz inne und richte deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem. Versuche, ihn bewusst zu verlangsamen: Atme tief durch die Nase ein (zähle bis 4), halte kurz die Luft an (zähle bis 2), und atme langsam durch den Mund aus (zähle bis 6).
Bodyscan: spüre deinen Körper
Dein Körper ist ein Anker, der dir hilft, aus der emotionalen Flut auszusteigen. Deshalb bringe deinen Fokus von den intensiven Emotionen hin zu deinem Körper. So holst du dich aus dem Strudel der Gedanken zurück ins Hier und Jetzt.
- Spüre deine Füße auf dem Boden – wie fühlt sich der Kontakt an?
- Rolle deine Schultern ein paar Mal nach hinten.
- Klopfe dir sanft deine Arme oder Oberschenkel ab, um den Körper wieder zu aktivieren.
Erdung durch die 5-4-3-2-1-Methode
Diese Übung beruhigt den Geist und bringt dich ins Hier und Jetzt. Sie hilft, dich im Hier und Jetzt zu verankern, wenn du dich verloren fühlst. Nenne
- 5 Dinge, die du sehen kannst.
- 4 Dinge, die du hören kannst.
- 3 Dinge, die du fühlen kannst (z. B. Kleidung, Boden).
- 2 Dinge, die du riechen kannst (oder riechen könntest).
- 1 Sache, die du schmecken kannst (oder könntest).
Benenne den Auslöser
Wenn du den Trigger erkennst, kannst du die Emotion von der aktuellen Situation trennen. Das schafft Klarheit und Distanz. Überlege, was die Situation in dir ausgelöst haben könnte, und benenne es (entweder laut oder in Gedanken): „Ich fühle mich gerade so überfordert, weil…“ oder „Das hat mich getriggert, weil es mich an [eine alte Situation] erinnert.“
Innerer Dialog: beruhige dich selbst
Selbstberuhigung durch Worte aktiviert dein parasympathisches Nervensystem, das für Entspannung sorgt. Daher umarme dich und sprich liebevoll und beruhigend mit dir selbst, als wärst du dein eigener bester Freund, deine beste Freundin. „Ich bin sicher. Es fühlt sich gerade überwältigend an, aber es wird vorübergehen. Ich kümmere mich jetzt um mich.“
Reguliere deine Emotionen
Starke Emotionen brauchen ein Ventil. Erlaube dir, die Emotion wahrzunehmen, aber gib ihr eine Form. Achte darauf, dass es ein sicherer und gesunder Ausdruck ist, der sie beruhigt.
- Schreib es auf: Nimm Papier und notiere ungefiltert, was dich beschäftigt. Auf dem Papier kannst du schimpfen und toben, dabei verletzt du niemanden.
- Körperliche Bewegung: Stampfe mit deinen Füßen, mach einen Hampelmann, schüttle deine Arme oder boxe in ein Kissen, um die überschüssige Energie loszuwerden.
Kleine Handlung für Sicherheit
Manchmal hilft eine kleine konkrete Handlung, um das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit zurückzugewinnen. Diese kleinen Handlungen geben dir das Gefühl, dass du etwas tun kannst und nicht vollkommen ausgeliefert bist. Beispiele: Trinke ein Glas Wasser, wasche dein Gesicht mit kaltem Wasser, wechsle den Raum, iss ein Eis oder räume einen kleinen Bereich auf.
Hol dir Unterstützung
Emotionale Verbindung kann dir helfen, dich zu beruhigen und das Gefühl der Isolation zu durchbrechen. Wenn du merkst, dass du alleine nicht herauskommst, ist es völlig in Ordnung, jemanden Vertrauten um Hilfe zu bitten. Du kannst sagen: „Ich bin gerade total aufgewühlt und brauche jemanden, der mir zuhört und / oder mich in den Arm nimmt.“
Reflektiere nach dem Drama
Sobald du dich beruhigt hast, nimm dir einen Moment, um darüber nachzudenken. Reflexion hilft dir, Muster zu erkennen und in Zukunft bewusster mit ähnlichen Situationen umzugehen. Fragen, die du dir stellen kannst:
- Was hat mich so aufgewühlt?
- War die Intensität der Emotion angemessen zur Situation?
- Was hätte mir in dem Moment geholfen?
- Woran hätte ich merken können, dass ich auf dem Weg ins Drama bin?
- Was war das erste Anzeichen?
Heilung beginnt, wenn wir das Drama nicht länger verurteilen, sondern als Einladung verstehen, hinzuschauen.
3 Tipps für Menschen, die sich in einem Drama dauerhaft gefangen fühlen
Menschen, die sich in einem dauerhaften Drama gefangen fühlen, tragen oft tiefe Verletzungen in sich und haben das Vertrauen in die eigene Veränderungsfähigkeit und / oder die Unterstützung anderer verloren. Hier sind drei hilfreiche Tipps , die den ersten Schritt aus dieser Spirale erleichtern können:
1. Kleine Schritte statt große Sprünge
Wenn du denkst, dir hilft niemand und nichts, kann dieses Gefühl überwältigend sein. Beginne mit winzigen Schritten und richte deinen Fokus auf Dinge, die du selbst beeinflussen kannst. Kleine Erfolge signalisieren deinem Gehirn, dass Veränderung möglich ist. Das stärkt dein Selbstvertrauen Schritt für Schritt. Stelle dir jeden Morgen eine kleine Frage: „Was kann ich heute tun, damit ich mich ein wenig besser fühle?“ Das kann etwas ganz Einfaches sein: ein Glas Wasser trinken, 5 Minuten frische Luft schnappen oder aufschreiben, was dir wichtig ist.
2. Verbindung statt Rückzug
Das Gefühl, dass dir niemand hilft, entsteht oft durch Rückzug und Isolation. Das Gefühl von Gemeinschaft, auch in kleinen Dosen, kann sehr heilsam sein. Es zeigt dir: Du bist nicht alleine mit deinem Schmerz. Der Weg hinaus beginnt mit kleinen, verbindenden Gesten – auch wenn es sich ungewohnt anfühlt. Teile deine Gefühle mit einer vertrauten Person, ohne Erwartungen. Du könntest sagen: „Ich brauche einfach jemanden, der mich anhört.“ Falls Menschen um dich herum schwer erreichbar sind, probiere eine Selbsthilfegruppe oder einen offenen, niedrigschwelligen Kontakt, wie einen Gesprächskreis oder eine Online-Community.
3. Stopp sagen: Drama unterbrechen
Ein Leben im Drama fühlt sich oft unkontrollierbar an, aber du kannst bewusst lernen, das Muster zu unterbrechen – auch wenn es nur für einen kurzen Moment ist. Diese kleinen Unterbrechungen helfen deinem Gehirn, aus der Überregung auszusteigen und die Kontrolle zurückzugewinnen. Wenn du merkst, dass du dich in die nächste Dramaspirale hineinsteigerst, sag bewusst „Stopp!“ (laut oder in Gedanken). Danach tue etwas völlig anderes: Halte deine Hände unter kaltes Wasser, schau aus dem Fenster und beschreibe dir selbst, was du siehst oder gehe einmal um den Block.
Zusätzliche Motivation: Du bist mehr als dein Drama
Das Gefühl, dass dir „nichts hilft“, ist oft eine Folge von Hilflosigkeit und deinem Fokus auf die Hilflosigkeit. Doch das bedeutet nicht, dass es für immer so bleiben muss. Jeder noch so kleine Schritt, den du machst, beweist dir: Veränderung ist möglich. Du bist nicht das Drama – auch du bist jemand, der sich davon lösen kann. Durch Achtsamkeit lässt sich dein Fokus ändern. Sammle täglich in einem Glas kleine Momente, in denen du nicht im Drama warst, die du vielleicht sogar genossen hast. Hat dein Kaffee geschmeckt? Haben die zankenden Spatzen vor deinem Fenster ein Lächeln auf dein Gesicht gezaubert? Ist dir beim Bäcker vom Duft des frischen Brotes das Wasser im Mund zusammengelaufen? Sammle täglich die kleinen Schätze, so änderst du deinen Fokus Schritt für Schritt.
Dramatisieren ist oft der verzweifelte Versuch, sich selbst sichtbar zu machen, während die eigene Verletzung unsichtbar bleibt.
Notfallplan für Unterstützer:innen
Wenn jemand „im Drama“ ist – also in einem emotional überwältigten Zustand, in dem alles intensiver oder übertriebener wirkt – dringen rationale Argumente oft nicht durch. Der Schlüssel ist, die Situation zu deeskalieren und emotionalen Raum zu schaffen, ohne das Gefühl der betroffenen Person zu bagatellisieren. Deine Haltung während des Prozesses ist wichtig. Bleibe empathisch, aber auch klar. Menschen in emotionalen Ausbrüchen sehnen sich nach Verständnis, aber sie brauchen auch Halt und Struktur, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Hier ist ein Notfallplan für dich, wie du die Drama-Queen, den Drama-King, in solch überwältigenden Momenten begleiten kannst.
Selbstregulation: Ruhe bewahren
Bevor du helfen kannst, sorge dafür, dass du selbst ruhig und geerdet bist. Drama kann ansteckend sein. Lässt du dich mitreißen, eskaliert die Situation nur. Atme tief durch, erde dich (z. B. durch bewusste Fußsohlenwahrnehmung) und sprich ruhig und kontrolliert. Deine ruhige Energie hilft, die aufgeladene Atmosphäre zu entkräften.
Wiedergeben statt bewerten
Zeige, dass du das Erleben der Person wahrnimmst und ernst nimmst, auch wenn es dir übertrieben erscheint. Validierung der Gefühle ist der erste Schritt, um Druck aus der Situation zu nehmen. Wahrnehmen und aussprechen, was du wahrnimmst, ohne es zu bewerten. „Ich sehe, dich nimmt das gerade mit“ oder „Es scheint, als bist du sehr verzweifelt darüber.“ Das zeigt, dass du die Person wahrnimmst, ohne zu urteilen. Das reduziert oft das Bedürfnis, „noch lauter“ um Gehör zu kämpfen.
Den Körper beruhigen: Aus der Überregung holen
Emotionale Dramen sind oft eng mit einer Überregung des Nervensystems verbunden. Der Körper ist ein direkter Zugang zum Nervensystem. Beruhigt sich der Körper, entspannt sich oft auch die emotionale Intensität. Deshalb: Hilf der Person, körperlich in die Ruhe zu kommen.
- Atmen: „Komm, lass uns zusammen langsam durch die Nase ein- und durch den Mund ausatmen.“
- Erdung: „Spür mal deine Füße auf dem Boden. Kannst du sie ein wenig hin- und herbewegen?“
- Reize reduzieren: Sorge, wenn möglich, für eine ruhigere Umgebung (weniger Geräusche, weniger Licht).
Raum schaffen: Nicht drängen
Dränge nicht auf eine sofortige Lösung oder Veränderung. Oft verschlimmert der Druck den Zustand. Schaffe stattdessen emotionalen Raum. Vielleicht hilft es, wenn ihr einen Moment ruhig sitzt und einfach atmet. Lade freundlich dazu ein. Vielleicht braucht dein Gegenüber aber gerade mehr Distanz, mehr Raum. Menschen in emotionalem Drama fühlen sich oft „gefangen“. Raum kann das Gefühl von Freiheit und Sicherheit zurückbringen. Respektiere das, aber bleib verfügbar: „Ich bin hier, wenn du mich brauchst.“
Fokus verschieben: Raus aus der Spirale
Der Fokuswechsel unterbricht die Spirale des Grübelns oder der Übertreibung, ohne die Emotionen abzuwerten. Deshalb lenke, wenn die Intensität etwas nachlässt, den Fokus vorsichtig auf etwas Beruhigendes oder Neutrales. Frage: „Was würde dir gerade etwas besser tun?“, oder „Kann ich dir ein Glas Wasser bringen?“ Hilf deinem Gegenüber, die Aufmerksamkeit umzulenken: „Kannst du mal schauen, ob du etwas in deinem Umfeld siehst, was dir gefällt?“ „Ein Bild, eine Farbe?“ Wichtig ist dabei nichts vorzugeben, sondern Vorschläge zu machen.
Verbindung halten: Sei empathisch präsent
Manchmal reicht es, einfach präsent zu sein, ohne zu handeln. Eine wohlwollende Haltung kann Wunder wirken. Oft reicht schon das Gefühl, nicht allein zu sein, um die Intensität der Emotionen zu reduzieren. Sitze ruhig neben der Person, wenn es passt, halte Augenkontakt oder biete leise deine Hand an.
Grenzen setzen, wenn nötig
Es ist wichtig, dich selbst zu schützen. Wenn das Drama eskaliert und du merkst, dass es toxisch oder destruktiv wird (z. B. Beschimpfungen, Schuldzuweisungen), setze liebevolle, aber bestimmte Grenzen. Sage zum Beispiel: „Ich möchte dir helfen, aber so funktioniert es für mich gerade nicht.“ Lass uns eine Pause machen und später weitersprechen.“ Bleibe bei dir und vorwurfsfrei.
Nach der Beruhigung: Reflexion und Unterstützung
Sobald die Person ruhiger ist, könnt ihr über das Erlebte sprechen, aber nur, wenn sie dafür bereit ist. Diese Reflexion kann helfen, Muster zu erkennen und langfristige Strategien zu entwickeln. Stelle dabei Fragen, die helfen, Zusammenhänge zu erkennen: „Was hat dich so getroffen?“, „Wie können wir das beim nächsten Mal vielleicht anders angehen?“ Biete auch weiterhin deine Unterstützung an bzw. biete Hilfe bei der Suche nach Unterstützung an. „Vielleicht wäre es gut, mit jemandem über das alles zu sprechen.“ „Ich kann dir helfen, Unterstützung zu finden“
Wenn jemand übertreibt, spricht oft ein inneres Kind, das endlich gehört werden möchte.
Herzlichen Dank, liebe Birgit, fürs Lesen und Weiterleiten. Liebe Grüße, Sylvia
Liebe Sylvia, herzlichen Dank für diesen wertvollen Artikel, den ich nahezu „gefressen“ habe. Sehr gut und hilfreich. Ich habe ihn direkt an eine Freundin weitergeleitet. Herzliche Grüße
Birgit
Deine Antwort hilft mir sehr. Ich werde mich in etwas mehr Gelassenheit und Bei-mir-bleiben üben. Danke
Liebe Eva, danke für deine spannende Frage. Wenn ich selbst ärgerlich werde, dann ist es Zeit für geordneten Rückzug und Selbstfürsorge. Selbiges gilt auch, wenn eine Person so gar keine Unterstützung annehmen mag. Mit geordnetem Rückzug meine ich anzukündigen, dass ich jetzt überfordert bin, dass ich ärgerlich werde, nicht auf die Person, aber auf das Drama. „Ich merke, ich bin dir gerade keine Hilfe und das macht mich ärgerlich.“ „Offenbar brauchst du gerade eine andere Form der Unterstützung.“ „Ich bin jetzt müde und brauche jetzt erst einmal Ruhe zum Nachdenken. Vielleicht fällt dir in der Zeit etwas ein, was dir wirklich guttun würde.“
Also bei dir bleiben, über dich sprechen und möglichst nicht anklagen. Deine Ungeduld und unterschwellige Anklage befeuern das Drama eher. Es geht darum, deine Grenzen zu wahren. Bist du ungeduldig, nimmst du am Drama teil und inszenierst dein eigenes. Möglich ist auch zu vereinbaren, wenn du das nächste Mal kommst, macht ihr etwas anderes, etwa ein Spiel spielen. Sage ehrlich, dass du überfordert bist, wenn ihr euch bei jeder Begegnung im Kreis dreht. Aber sprich von deiner Überforderung. Du fühlst dich hilflos, bist momentan vom Job genervt etc. und hast nicht die Kraft jedes Mal zuzuhören. Liebe Grüße Sylvia
Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel. Manchmal ist es wirklich nicht leicht, einen Dramatisieren weiterhin zu unterstützen. Ich merke jedenfalls, dass ich dann selbst ärgerlich werde. Irgendwann kommt der Punkt, wo ich die Verbindung auch gar nicht mehr halten möchte. Hast du einen Tipp, was man tun kann, wenn die Person keine Hilfe annehmen will?