WG-Kinder leben anders
„Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch.
Und wenn sie auch mit euch sind, so sind sie dennoch nicht euer Besitz.
Ihr dürft ihnen eure Liebe schenken, aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben eigene Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Zuhause geben, aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus der Zukunft
Und das könnt ihr nicht betreten, nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft bestrebt sein, ihnen zu gleichen,
aber versucht nicht, sie euch gleich zu machen.
Denn das Leben schreitet nicht rückwärts
Noch verweilt es im Gestern.“(aus Khalil Gibrans Buch Der Prophet, das 1933 auf schwedisch erschien) Gefunden in „Astrid Lindgren. Ihr Leben. von Jens Andersen S.123/124.
Mit WG-Kindern unterwegs im Leben
WG-Kinder wachsen so ganz anders auf, als Kinder, die in mit liebevollen und fördernden Eltern aufwachsen. Meist vermissen sie ihre Eltern und Geschwister. Nicht selten sind sie den Vorurteilen der sie umgebenden Erwachsenen ausgesetzt, die sich nicht vorstellen können oder wollen, wie anders das Aufwachsen in der WG für diese Kinder ist. Während familiär behütete Kleinst- und Klein-Kinder im familiären Rahmen im Sommer nackt durch den Garten hüpfen, kennen unsere Kinder diese befreiende Form der Nacktheit nicht. Das ist nur ein winziges Beispiel. Durch Kind und Enkelkind weiß ich aber, wie sehr sie es geliebt haben, nackt durch den Garten zu hüpfen und im Schlamm zu spielen. Diese Erfahrung machen WG-Kinder nie. Einen Erwachsenen für Stunden nur für sich allein zu haben, zum Spielen, Kuscheln, Diskutieren – auch in diesen Genuss kommen die WG-Kinder eher selten. In der Regel müssen sie die Aufmerksamkeit der Betreuer:innen mit 7 anderen Kindern teilen.
Hier schreibe ich meine Gedanken dazu, wenn ich sie öffentlichkeitstauglich zu Papier bringe. Unsere Schweigepflicht greift weit und das ist gut so, bedeutet aber, ich muss vorsichtig sein, mit dem, was ich schreibe und wie ich es schreibe. Schließlich will ich auf keinen Fall, dass unsere WG-Kinder darunter leiden müssen.
25.12. 2017 Ausflug mit den WG-Kindern in den Zoo
Heute Nachmittag mit 3 WG-Kindern im Zoo. Die Kinder haben gespielt, Tiere bestaunt und 5 Minuten vor Zooschließung bekamen sie einen Schreirappel. „Entegans“ brüllten sie und lachten über die Lautstärke der eigenen Stimme. Natürlich schauten ein paar Leute pikiert und eine Frau meckerte eines der Kinder an. „Deine Mama schreit wohl abends auch immer so“. Das blieb kurz stehen, schaute die Frau an, zuckte die Achseln und brüllte im Weglaufen „Entegans“
Ich sah die alte Frau an und sagte ihr, dass diese Kinder in einer besonderen Situation (ohne ihre Eltern) leben. Dass sie den ganzen Tag friedvoll und leise waren und dass ich als die für sie zuständige Erwachsene es in diesem Moment völlig in Ordnung fände, wenn sie sich für ein paar Minuten mal wie Kinder verhielten: laut, lustvoll, lebensfroh. Weil diese Kinder im besonderen, aber auch andere Kinder fast immer nur das dürfen, was die Erwachsenen für angemessen und richtig ansehen. Nirgends dürfen Kinder wirklich laut sein, zu Hause nicht – wegen der Babys, wegen der Lärmempfindlichkeit der Erwachsenen, wegen der Nachbarn – in der Kita nicht, in der Straßenbahn nicht, beim Einkauf nicht, im Zoo nicht. Aber irgendwie will auch bei den Kindern die Schreilust, die Tobelust mal befriedigt werden.
Die Frau entschuldigte sich nach meinem Vortrag, wir wünschten einander frohe Weihnachten und verabschiedeten uns mit einem Lächeln voneinander.
Mit den Kindern bin ich noch durchs dunkle Rosental gelaufen und mit EntegansGebrüll haben sie die Abendgeister aus dem Gebüsch vertrieben. Ich bin jetzt zwar taub, aber die Kinder schlafen befriedet und erschöpft.
01.06.2016 Wut und Trauer – nicht nur bei WG Kindern
Die Wut und die Trauer eines Kindes ist schwer auszuhalten, vor allem dann, wenn klar ist, dass wir Erwachsenen Ursache dieses kindlichen Schmerzes sind. Manchmal bin ich ’nur‘ die Überbringerin der schlechten Nachrichten, aber die Wucht der Verzweiflung des Kindes ist dann das sprichwörtliche Schafott.
Wieder eine Schneise in eine Kinderseele geschlagen.
Da sind dann auch Kakao und Trickfilm nicht mehr als ein Pseudopflaster auf einer tiefen Wunde. Das Kind schläft ein, für den Augenblick getröstet. Ich straffe die Schultern und denke mir das nächste Pflaster aus. Fürs Kind und für mich.
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