Lebenskünstlerin – Mein Weg zu einem erfüllten Berufsleben

Wusstest du schon als Kind, was du werden wolltest? Wenn ja, gehörst du zu den Personen, die ich damals beneidet hätte. Um die Klarheit und Geradlinigkeit, mit der sie ihre Ziele verfolgten. Diese Geradlinigkeit fehlt mir, ich war mit überleben beschäftigt, das eigentliche Leben, so dachte ich als Kind, fängt an, wenn ich erwachsen bin. So hatte ich als Kind nur den einen Wunsch, endlich erwachsen werden und dem Dunstkreis meiner Familie zu entfliehen. Vom Erwachsen sein hatte ich klare Vorstellungen: Niemand bestimmt mehr über mich, ich kann jederzeit ehrlich meine Meinung sagen und ich entscheide, ob meine Gefühle richtig oder falsch sind.

Auch wenn ich im Alter von ca. 7 Jahren, die Frage, was ich später einmal werden will, mit „Ärztin“ beantwortete (Fun Facts), Ärztin stand nie auf meiner Wunschliste. Wenn ich zusammenfassend auf mein Leben zurückschaue, so war es eher „irgendwas mit Kunst“, zudem ich mich hingezogen fühlte. Lange hatte ich keinen Begriff für meinen persönlichen und beruflichen Werdegang, bis jemand zu mir sagte „Du bist eine Lebenskünstlerin“. Das ist bis heute der Begriff, in dem ich mich zu Hause fühle.

In diesem Artikel schreibe ich darüber, was ich früher werden wollte, was ich geworden bin und was ich beruflich noch werden will.

Die Jahre bis zur Entscheidung der Berufswahl – 1978 bis 1982

In der Schule galt ich zu Recht als Streberin. Ich lernte gern, denn Lernen war Futter für meine angeborene Neugier. Lernen war aber auch ein Ausweg, den Forderungen meiner Eltern nach Hausarbeit etc. zu entkommen. Im Gegensatz zu anderen Gleichaltrigen, die einzelne Aufgaben im Haushalt zu erledigen hatten, war ich schon im Alter von 12 Jahren neben meiner Mutter dazu verdammt, den Haushalt zu führen. Dazu gehörte, das Haus zu putzen, waschen, bügeln, kochen und dabei den peniblen Anforderungen eines cholerischen Vaters genügen. Ein vergessener Krümel auf der geputzten Treppe konnte dafür sorgen, dass ich mit einem Tritt in den Hintern, ebendiese Treppe hinunterflog. Berufe, die mit Haushaltsführung zu tun hatten, wie Köchin, Hotelfachfrau oder Hauswirtschafterin fielen also von vornherein aus. Ich hasste Haushaltsarbeiten und wenn ich ehrlich bin, mag ich sie bis heute nicht.

Abitur oder Abgang 10. Klasse?

In der DDR fiel in der 7. Klasse die Entscheidung, ob ein Wechsel von der POS (Polytechnische Oberschule) zur EOS (Erweiterte Oberschule) anstand. Für alle Erwachsenen um mich herum stand fest, dass ich eine Kandidatin fürs Abitur bin. Aus jeder Klasse wurden nur zwei bis 3 Schüler:innen zugelassen. Im Grunde wollte ich das auch, doch dieses Angeben mit mir, der schlauen Tochter, ging mir gehörig auf die Nerven. Ich wollte nicht, dass meine Eltern mit meinen Leistungen angeben, und so schrieb ich in der 8. Klasse fast keine Arbeit mit. Mein Notendurchschnitt sank auf 3,5. Damit war kein Abitur mehr möglich. Später bereute ich dies zutiefst, doch den Ärger und die Enttäuschung meiner Eltern zu sehen, kam mir damals vor wie ein kleiner Sieg.

Lebenskünstlerin - Zitat Anais Nin: Das Leben schrumpft oder dehnt sich aus im Verhältnis zu unserem Mut.

Die erste Entscheidung

Im Halbjahr der 10. Klasse musste ich mich entscheiden. Von der Schule wurden mir Berufe empfohlen, die in der Volkswirtschaft gebraucht wurden: Chemielaborantin oder Sekretärin. Beides kam für mich nicht infrage. Ich hatte zwar gute Noten in Chemie, aber es interessierte mich kein bisschen. Die Sekretärinnen, die ich im Umfeld meiner Eltern kannte, sahen immer sehr adrett aus, ein Wort, vor dem mir bis heute gruselt. Adrett ist für mich der Inbegriff von Angepasstheit und das wollte ich für mich ganz sicher nicht. Ich wollte keinen langweiligen Beruf, sondern einen, der mich interessiert, reizt, der abwechslungsreich ist.

Mein Bruder lernte zu dieser Zeit das Zimmermannshandwerk. Ich mochte den Geruch von Holz und frischen Sägespänen. Also ging ich zum Tischler im Ort und er war damit einverstanden mich auszubilden. Der Vertrag war unterzeichnet, da kam mein Bruder ins Krankenhaus, weil er sich einen Finger halb durchgesägt hatte. Ich trat von der Ausbildung zurück. Alle anderen hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Ausbildungsverträge, nur ich stand wieder mit leeren Händen da. Seit der 8. Klasse fotografierte ich und besuchte den Fotokurs der Schule. Erst jetzt kam es mir in den Sinn, dass ich doch aus meinem Hobby einen Beruf machen könnte. Ich spielte mit in der Fotografie-Ausbildungsplatz-Lotterie. Es gab in Leipzig 5 Ausbildungsplätze im Bereich Fotografie. Ich gewann einen davon.

Die Phase der Orientierung – Die Jahre zwischen 1984 bis 1989

Schon während der Fotografie-Ausbildung war für mich schnell klar, das kann nicht mein Beruf sein. Im Fotostudio Passbilder, Babyfotos oder künstlich arrangierte Familienfotos zu machen, langweilte mich. Es machte mir keine Freude. Am liebsten arbeitete ich in der Dunkelkammer, fernab von Kund:innen, die Star-Fotos von sich haben wollten und sich dafür alles Lebendige aus ihren Gesichtern schminkten. Fernab von Kolleg:innen, deren Pausengespräche sich um die Serien Dallas und Denver-Clan drehten. Ich merkte schnell, diese Art des Fotografie-Berufes war mir zu piefig. Wenn ich Menschen fotografiere, dann will ich, dass er sich aus dem Herzen erkennt, dass die Seele sichtbar wird. In einem Fotostudio ein Ding der Unmöglichkeit.

In den Jahren 1984 bis 1986 wechselte ich mehrmals das Studio, immer in der Hoffnung, das Klima, der Anspruch wäre im neuen Studio ein anderer. Weit gefehlt. Der schönende Anstrich, das künstliche dieser Art Studiofotografie verfolgte mich. Ich wollte echte Menschen fotografieren, das Sein, doch gefordert waren Künstlichkeit und Schein. Im Ergebnis drehte ich der Studiofotografie gänzlich den Rücken zu. Was aber tun, Arbeit ist Pflicht, schließlich gibt es den „Asozialenparagraph 249“ im Strafgesetzbuch. Wer nicht arbeiten gehen will, kann auch schnell mal im Gefängnis landen.

Nähen und Modellstehen

Ich musste mir also etwas einfallen lassen. So kam ich auf die Idee, Klamotten zu nähen. Jacken, Kleider und Röcke aus Bettlaken und anderen Leinenstoffen. Verkauft wurde über illegale Verkaufsstände zum Beispiel auf der Mole in Rostock-Warnemünde oder später, die Lederröcke über Zeitungsannoncen. Damit verdiente ich mein Geld. Den Nachweis der Berufstätigkeit erbrachte ich über die Stempel im Sozialversicherungsbuch, die ich fürs Modellstehen an der HGB – Hochschule für Grafik und Buchkunst – erhielt. Der Stundensatz war so gering, dass ich davon allein nicht hätte leben können. Für die Finanzen war gesorgt, der Nachweis der Arbeit erbracht. Einen Rock nähte ich in einer Nacht, für eine Jacke brauchte ich zwei Nächte. Vom Verkauf einer Jacke und eines Rockes konnte ich gut einen Monat lang leben. Im Ergebnis hatte ich viel freie Zeit. Diese freie Zeit nutzte ich für all meine anderen Interessen.

Fotografieren

Auch wenn ich der Studiofotografie eine Absage erteilte, die Fotografie verlor ihre Faszination für mich nicht. Am meisten interessierten mich Porträts, Stillleben und die Straßenfotografie. Damals war die Straßenfotografie noch ohne Einschränkungen erlaubt. Die Fotobände von Henri Cartier-Bresson animierten mich, mit der Kamera in der Stadt herumzuziehen und Momente einzufangen. Die Nächte, in denen ich nicht nähte, verbrachte ich häufig im zur Dunkelkammer umfunktionierten Badezimmer.

Schreiben

Zu dieser Zeit war ich fast ununterbrochen in Psychotherapie. Bei der Verarbeitung der in der Kindheit und Jugend erlebten physischen, psychischen und sexuellen Gewalt half mir das Schreiben. Ich schrieb an die 100 Hefte und Bücher voll, mit Gedichten, Kurzgeschichten, Alltagserlebnissen und tagebuchartigen Dialogen. Die Idee, Schriftstellerin werden zu wollen, wurde in jenen Jahren geboren. Ich trat einem Zirkel „Schreibender Arbeiter“ bei, unter der Leitung von Wolf Arnold. Dort lernte ich, wie wichtig die Textkritik ist und außerdem gab es lecker Kaffee und Kuchen. Mit meinen autobiografischen Texten wurde ich für den „Lehrgang für Schreibende zum Thema Autobiografisches und Dokumentarisches“ vorgeschlagen und angenommen. So habe ich von 1988 bis 1989 meine erste Schreibausbildung beim Stadtkabinett für Kulturarbeit Leipzig absolviert.

Tingeln in der Arbeitswelt – Die Zeit der Wende 1989 bis 1996

Im Januar 1989 veränderte sich mein Leben massiv. Ich gebar meine Tochter und wusste von diesem Tag an, jetzt trage ich Verantwortung für zwei. Vorher lebte ich im ständigen Auf und Ab zwischen viel Geld und kein Geld, das hieß, es gab Tage, da musste ich mich entscheiden: Essen oder rauchen. Meist fiel die Entscheidung gegen das Essen aus. Für mich selbst waren Hungertage ok, mit Kind ein No-Go. Ich brauchte also einen festen Job. Kurzzeitig kehrte ich noch einmal in ein Fotostudio zurück. Die Lebenskünstlerin blieb auf der Suche nach einem spannenderen Job.

1990 wurde ich im neu gegründeten Frauenkulturzentrum fündig. Meine bisher erste und einzige ABM – Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Bereich Kulturmanagement & Veranstaltungskoordination. Hier lernte ich die Basics der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kennen und vertiefte diese später an der Medienakademie Leipzig im berufsbegleitenden Studiengang zur Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. In den Folgejahren arbeitete ich in der sich breit aufstellenden Medienlandschaft als Fotografin, Texterin, Sekretärin – mehrheitlich in Kombination all dieser Tätigkeiten. Die Zeitschriften und Zeitungen, für die ich damals arbeitete, gibt es heute alle nicht mehr: TIL-Das Leipziger Stadtmagazin, Leipzig anders und DAZ – Die andere Zeitung Leipzig. Über einen kurzen Abstecher zurück in den Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Werk 2 – Kulturfabrik Leipzig landete ich im Radio-Verein-Leipzig im Bereich der Medienpädagogik.

Ankunft in der Kinder- und Jugendhilfe – 1996 bis 2001

Im Alter von 30 Jahren wurde ich zum ersten Mal beruflich sesshaft. Meine psychischen Probleme hatten sich einigermaßen beruhigt, ich hatte gelernt, mit den Symptomen von PTBS und Borderline umzugehen. Heißt, ich war sozial kompatibler geworden, konnte mich auf ein längeres Arbeitsverhältnis und damit auch auf eine Zusammenarbeit mit Kolleg:innen einlassen. Über Journalismus und den Einsatz von Technik hatte ich in meiner Tingelzeit viel gelernt und dieses Wissen konnte ich an die Mädchen und Jungen in den Radiokursen weitergeben.

Häufig traf ich dabei auf Kinder, die mir mit ihrem Verhalten zeigten, dass etwas in ihrem Leben nicht stimmt. Einzelgänger:innen und Gruppenkasper, Kinder, die die Arbeit der anderen sabotierten oder die versuchten Grüppchen in der Gruppe zu bilden und andere zu mobben. Einige dieser Kinder vertrauten sich mir an und so individuell die einzelne Geschichte auch war, sie basierten fast alle auf physischer, psychischer und sexueller Gewalt. Ich unterstützte diese Kinder, so gut ich es damals konnte. Begleitete sie zu Schulsozialarbeiter:innen, in den Kinder- und Jugendnotdienst oder zum Jugendamt. Schnell wurde mir bewusst, dass mir das Handwerkszeug fehlt, um diesen Kindern die Unterstützung zu geben, die sie brauchten. In dieser Zeit reifte zum ersten Mal ein Berufswunsch in mir – ich wollte Kinder- und Jugendpsychologin werden. Die Voraussetzung dafür war ein abgeschlossenes Studium der Sozialarbeit / Sozialpädagogik. Berufsbegleitend erwarb ich die Studienzulassung und absolvierte das Studium an der FH Merseburg.

Lebenskünstlerin-Zitat Maya Angelou: „Ich habe gelernt, dass die Leute vergessen, was du gesagt und getan hast, aber niemals vergessen, wie sie sich bei dir gefühlt haben.“

Das erlernte Wissen anwenden und vertiefen – 2001 bis 2008

Nach Abschluss des Studiums wechselte ich die Arbeitsstelle. In der Radio-Arbeit hatte ich verstanden, dass die Probleme der Kinder und Jugendlichen ihren Ursprung in deren Herkunftsfamilien hatten und genau dort wollte ich ansetzen. Mit den Erwachsenen arbeiten, damit diese einen achtsamen und liebevolleren Umgang mit sich selbst und ihren Kindern lernen.

Ich wechselte in einen Bereich, von dem ich im Studium noch sagte, „das will ich nie machen“ und fühlte mich schnell zu Hause in der Arbeit bei der AHB – Berlin Leipzig gGmbH, als Sozialpädagogische Familienhelferin. Doch auch hier spürte ich schnell, dass mein Handwerkszeug an den Basics kratzte und für die emotionale Arbeit, für die ich angetreten war, kaum Zeit blieb und es war auch nicht der Auftrag. Da ging es um Schuldenabbau und Wohnungssicherung, den Umgang mit psychischen Erkrankungen im Alltag, Trennungen, Scheidungen, Gewalt in der Familie. Zum ersten Mal verstand ich die Wirkweisen von transgenerationalen Traumata, denn ich konnte beobachten, wie sie weitergegeben werden von den Großeltern zu den Eltern, von den Eltern zu den Kindern.

Aufsuchende Familientherapie

Für mich bedeutete dies, erneut eine Ausbildung zu beginnen. Den Berufswunsch der Kinder- und Jugendtherapeutin verwarf ich wieder aufgrund der Ausbildungsbedingungen und Kosten. 5 Jahre Ausbildung und davon ca. 1 Jahr Vollzeit Praktikum in psychologischen Praxen – im Osten Deutschlands hieß das häufig unbezahlt. Ich entschied mich stattdessen für die Ausbildung zur systemischen Familientherapeutin. Das kostete auch, aber die Praxisfälle konnte ich im Rahmen meiner Arbeit absolvieren. Interessierte Klient:innen hatte ich genug. Mit dieser Ausbildung und dem veränderten Aufgabenfeld konnte ich endlich tiefer gehen und mit den Menschen an ihren erlernten Reaktionsmustern arbeiten. Ich achtete während dieser Zeit nicht gut auf mich, verausgabte mich, übernahm zu viel Verantwortung. Im Februar 2008 kam das vorläufige Aus. Ich landete in einem Burn-out.

Beratung und Leitungsverantwortung – 2008 bis 2013

Burn-out bedeutete mich erneut in Therapie und begleitendes Coaching zu begeben. In dieser Zeit akzeptierte ich, dass ich mich nicht gut genug abgrenzte, zu viele der Lebensgeschichten an meiner eigenen Geschichte andockten. Ich wollte mich nicht damit zufriedengeben, dass dies das berufliche Aus für meine Arbeit als Therapeutin bedeutete. Also suchte ich mir einen Job, indem ich mein Wissen anwenden konnte, aber nicht so in die Tiefe gehen musste und neben der Arbeit mit Klient:innen auch Zeit für Leitungstätigkeit hatte. Genügend Leitungserfahrung hatte ich in meinen vorherigen Jobs gesammelt, als Chefredakteurin bei Leipzig Anders, als Vorstandsvorsitzende im Werk 2, als stellvertretende Teamleitung bei AHB. Ich wechselte zur „Das Boot gGmbH – Sozialpsychiatrisches Zentrum“. Dort übernahm ich die Leitung des Offenen Bereiches mit Beratungsstelle, Teestube und Ergotherapie. Die therapeutische Arbeit ruhte in dieser Zeit, hier ging es um die Beratung von psychisch kranken Menschen und ihren Angehörigen.

Ich schrieb in dieser Zeit wieder viel und leitete für die Klient:innen einen Kurs im kreativen Schreiben. Das Handwerkszeug dafür holte ich mir in der Ausbildung zur Poesiepädagogin, die mich befähigt, kreative Schreibgruppen anzuleiten. Um meine Leitungskompetenzen zu stärken, absolvierte ich berufsbegleitend ein Masterstudium in Personalentwicklung mit dem Schwerpunkt Coaching und eine Ausbildung zur systemischen Organisationsberaterin.

Lebenskünstlerin-Zitat Louisa May Alcott: „Ich bin nicht mehr ängstlich, denn das Leben scheint eher ein großes Experiment zu sein, anstatt etwas, woran man sich zu klammern hat.“

Meine Heimkehr in die Kinder- und Jugendhilfe – 2013 bis heute

2013 ergab sich für mich die Möglichkeit, zu meiner Arbeitsheimat AHB zurückzukehren. In den fünf Jahren im Boot habe ich gemerkt, wie gut es mir tut, so eine geteilte Stelle zu haben: halbe Stelle für Leitung und eine halbe Stelle für die Arbeit mit Klient:innen. Zweigleisigkeit erkannte ich als die für mich passende Struktur in der Arbeitswelt.

Bei AHB wurde im Oktober 2013 eine neue Wohngruppe eröffnet, die WG Jacob. Dort übernahm ich die Leitung der Einrichtung und ich kehrte zurück in die Familientherapie. Sofort fühlte ich mich heimisch und das wurde mir auch im Kontakt mit Ämtern gespiegelt. Mehr als einmal hörte ich „Frau Tornau, wie schön, dass sie wieder da sind.“ Die Balance zwischen beiden Aufgabenbereichen zu halten, hilft mir dabei, auch auf mein Wohlergehen und mich zu achten. Das Thema Trauma begegnet mir in der Arbeit mit den Kindern und in der Arbeit mit den Familien. Deshalb habe ich auch hier mein Wissen und meine Handlungsmöglichkeiten aufgestockt. Eine Ausbildung zur Traumapädagogin, Fortbildungen in traumatherapeutischen Methoden wie die Arbeit mit inneren Anteilen und Embodiment.

Nebenberuflich zur eigenen Praxis – 2022 bis heute

In der Familientherapie können wir die Arbeit an den Traumafolgen häufig nur anreißen, da die Themen, an denen wir arbeiten – zum Beispiel Hochstrittige Eltern, Adoptiv- und Pflegekinder in der Pubertät – eine Zusammenarbeit mit der gesamten Familie erfordern. In den Einzelkontakten kann ich psychoedukativ das Wissen vermitteln, wie Traumata sich auf das Nervensystem, die Regulationsfähigkeit und die Emotionen auswirken. Ich kann ein paar hilfreiche Übungen zur Selbstregulation vermitteln, einen weiterführenden Prozess begleiten kann ich nicht.

Daraus entstand die Idee, diese traumasensible Prozess-Arbeit in eigener Praxis anzubieten. Meine Klient:innen sind meist Frauen, die in ihrer Kindheit und Jugend Opfer physischer, psychischer und/oder sexueller Gewalt wurden und für sich beschlossen haben, dass diese Erfahrungen nicht über den Verlauf ihres weiteren Lebens bestimmen sollen. Es gehört großer Mut dazu, sich den eigenen inneren Anteilen, die sich aus diesen Erfahrungen entwickelt haben, zu stellen. Sie anzusehen, anzunehmen und in etwas Hilfreicheres zu wandeln. Das eigene Selbstbewusstsein zu schulen, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen und dem Leben mit Freude begegnen zu können, sind nur einige der Ziele, mit denen die Frauen zu mir kommen.

So ist es heute

Ich arbeite gern, mit meinem Team in der WG Walter, mit meinem Dienstpartner, Freund und Co-Therapeuten Daniel in der Familientherapie. Auch das Arbeiten in eigener Praxis ist aufregend und macht mir viel Freude. Ich teile gern mein Wissen, meine Erfahrungen, ob im Blog, in Büchern oder in den Therapien und Coachings. Meine Arbeit ist voll mit Bildern, Geschichten und Analogien. Dass so viel Humor und Gelassenheit in mir steckt, lerne ich in der Zusammenarbeit mit diesen mutigen Frauen. Der wesentlichste Unterschied hier zur Familientherapie besteht in der Tiefe der Arbeit und darin, dass es hier um die Ziele der Einzelnen geht. Momentan bin ich mit ein bis zwei Prozessen pro Woche sehr zufrieden. Perspektivisch dürfen es noch ein paar mehr werden. Aktuell habe mich selbst für diese intensive Arbeit begrenzt. Maximal 3 Termine pro Woche, sind das Maß, mit dem ich mich momentan neben meiner Festanstellung gut auf mein Gegenüber einlassen und gut für mich selbst sorgen kann.

Wie geht es beruflich weiter?

Offen gestanden, ich weiß es nicht. Ich habe mir nie langfristige Ziele gesetzt, die Ziele entwickelten sich bei mir immer aus dem Tun und den erkannten Bedarfen. Fakt ist, 2032 ist das letzte der 8 Kinder, welches wir 2016 in der neu eröffneten WG Walter aufgenommen haben, 18 Jahre alt. Mein Ziel, diese Kinder vom Einzug in die WG bis zu ihrem Auszug zu begleiten, verfolge ich immer noch. Für die eigene Praxis quäle ich mich derzeit durch die Ausbildung zur Heilpraktikerin Psychotherapie, damit ich künftig noch tiefergehende therapeutische Prozesse anbieten kann, neben den Coaching-Prozessen, die ich derzeit anbiete.

Was ich klar benennen kann:

  • Ich werde weiter bloggen. Rund um die Themen Trauma, Traumasensibilität und Lebensfreude. Das bloggen hat sich inzwischen zu meiner großen Leidenschaft entwickelt. Schriftstellerin wollte ich in jungen Jahren werden, heute bin ich Bloggerin.
  • Mich regelmäßig fortbilden und lernen für die Arbeit mit Menschen, die unter Traumafolgen leiden. Es gibt noch so vieles, was ich vertiefen kann: hypnosystemisches Arbeiten, Anteile-Arbeit, Emotionsregulation.
  • Ich werde, solange es meine physischen und psychischen Kräfte zulassen, mit Frauen arbeiten, die sich aufgrund von Gewalterfahrungen in ihrem Leben behindert fühlen und dies nicht länger aushalten und weitergeben wollen. Frauen, die ihre eigene Freude und das eigene Lebensglück leben und weitergeben. Ganz nach meinem Motto: Aufstehen und in Würde strahlen!

Fakt ist, ich bin eine Lebenskünstlerin und die werde ich bleiben. Ich werde auch weiterhin aus dem biografischen Stückwerk eine wärmende Patchworkdecke für andere und mich nähen.

Eine Lebenskünstlerin versteht es, trotz aller Widrigkeiten das Leben zu genießen und kreativ zu meistern. Mit Flexibilität und Optimismus findet sie Wege, Freude und Erfüllung in den einfachsten Dingen zu entdecken. Unkonventionell und innovativ geht sie ihren eigenen Weg und zeigt, dass wahre Lebenskunst darin besteht, das Beste aus jeder Situation zu machen. – Sylvia Tornau

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12 Kommentare

  1. Sylvia Tornau 13. Juni 2024 um 18:29 Uhr

    Liebe Wilhelmine, herzlichen Dank für deine Unterstützung! Liebe Grüße Sylvia

  2. Wilhelmine Hoffmann 13. Juni 2024 um 12:51 Uhr

    Liebe Sylvia,
    ich bin zutiefst berührt und bewegt von deinem neuen Blogeintrag.
    Ganz lieben Dank fürs Teilen, deines Lebensweges.
    Deine Zeilen geben mir Mut und Kraft für sich selbst und den eigenen Lebensweg einzustehen.

    Herzlich,
    Wilhelmine

  3. Sylvia Tornau 12. Juni 2024 um 09:38 Uhr

    Danke, liebe Birgit, für deine Worte und für das Lied von Udo Lindenberg. Das kannte ich bis jetzt nicht ?. LG Sylvia

  4. Birgit Buchmayer 10. Juni 2024 um 23:08 Uhr

    Liebe Sylvia,
    trotz oder genau wegen deiner Gewalterfahrungen im Kindes-und Jugendalter hast du deine Lebenskunst gefunden und zur Berufung gemacht. Dein Lebensweg erinnert mich an das Lied von Udo Lindenberg: Ich mach mein Ding ganz egal, was die anderen sagen.
    So bist du, so lebst du und das gibst du anderen mit auf den Weg.
    Es ist so schön, dass sich unsere Wege kreuzen und wir uns kennen lernen dürfen.
    Herzlichst, Birgit

  5. Sylvia Tornau 10. Juni 2024 um 20:44 Uhr

    Liebe Gabi, von Herzen ein großes Danke, für deine anerkennenden Worte, deinen Zuspruch, die Motivation. Das ist für mich das kleine Bonbon am Abend. ? Liebe Grüße Sylvia

  6. Sylvia Tornau 10. Juni 2024 um 20:41 Uhr

    Liebe Antje, ich ziehe den Hut vor jeder Familie, die ein Pflegekind aufnimmt und gemeinsam mit diesem Kind die Herausforderungen meistert, die sein Start ins Leben mit sich bringt. Viel zu oft werden Adoptiv- und Pflegefamilien damit allein gelassen, nicht darauf vorbereitet. Ich hoffe, ihr bekommt die Unterstützung, die ihr und eure 14-Jährige benötigt, wenn ihr sie braucht. Einen herzlichen Gruß an dich. Sylvia

  7. Sylvia Tornau 10. Juni 2024 um 20:16 Uhr

    Liebe Pia, die Parallelen zwischen uns sind mir auch schon aufgefallen, deshalb freue ich mich auch so sehr, dass wir über die TCS verbunden sind. Liebe Grüße Sylvia

  8. Sylvia Tornau 10. Juni 2024 um 20:10 Uhr

    Liebe Irina, danke für deine anerkennenden und motivierenden Worte. Liebe Grüße Sylvia

  9. Gabi Kremeskötter 10. Juni 2024 um 15:14 Uhr

    Liebe Sylvia,
    ich bin geplättet – im positiven Sinne! – von deinem Leben! WOWOWOW, das habe ich an vielen Wegmarken deiner Jahre gedacht.
    Und wahrlich, nur eine Person, die der Lebenskunst mächtig ist, kann diese wirklich bunte Reise deiner Werdung mit der dir offenbar innewohnenden Unbekümmertheit bewältigen.
    Ich bewundere deinen Mut, dich deinen Eltern entgegengestellt zu haben, deinen Trotz als Mut zu erkennen und dein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
    Und das tust du noch immer.
    Ich bewundere deine Energie, immer weiterzulernen, deinen offenen Blick zu nutzen und jede Chance, die sich dir zeigt, zu nutzen.
    Ich freue mich, dich hier lesend begreifen zu lernen und freue mich auf sehr viel mehr.
    Herzlichst
    Gabi

  10. Antje Schölzel 10. Juni 2024 um 10:55 Uhr

    Liebe Silvia,

    ich finde Deinen Werdegang sehr schlüssig und lebensbejahend. Du machst tolle und wichtige Arbeit. Als Pflegemutter einer 14-jährigen, die zwar schon als Baby zu uns kam, sehe und spüre ich aber trotzdem täglich, vor welchen Herausforderungen sie steht und wie ihr Lebensstart sie geprägt hat und unser ganzes Familienleben mitbestimmt.

    Viele Grüße

    Antje Schölzel

  11. Pia Hübinger 10. Juni 2024 um 09:01 Uhr

    Liebe Sylvia,

    dein eindringlicher Artikel berührt mich sehr. Ja, du bist wahrhaftig eine Lebenskünstlerin und bereicherst durch deine Arbeit das Leben anderer Menschen in ganz besonderer Weise. Ich habe viele Parallelen entdeckt. Insbesondere die Liebe und Hingabe zu der Arbeit mit Menschen, die ihre eigene Freude leben und weitergeben wollen. Dein Motto ist ganz wunderbar.
    Sehr herzlich
    Pia

  12. Irina 10. Juni 2024 um 08:38 Uhr

    Liebe Sylvia,

    was für ein schöner und hochinteressanter Artikel! Und was für ein aufregender, wechselvoller Lebensweg! Beachtenswert, was du dir alles an Wissen und Können angeeignet hast und noch immer aneignest, das nötigt mir höchste Anerkennung ab. Ich wünsche dir für deinen weiteren Weg alles Gute und viel Erfolg.

    Liebe Grüße Irina

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Hallo, ich bin Sylvia

systemische Therapeutin, Trauma-Coach und Bloggerin. Seit über 20 Jahren arbeite ich mit Paaren, Familien und Einzelpersonen daran, negative Kindheitsprägungen und frühe Traumata zu lösen und ein Leben voller Selbstvertrauen, innerem Frieden und emotionaler Stabilität zu führen.
Für ein erfülltes Leben in Verbundenheit.

Quietschfidel Wolken schaufeln
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