Mit der Jolle unterwegs auf der Elbe (Teil 1)
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20.08.09 Vorbereitung im Leopoldshafen, Seesportverein Dessau e.V.
Vor einer Reise ist immer viel zu tun. Planen, Packen, einkaufen. Das Boot muss geputzt, die nötigen Einzelteile wie Segel, Paddel und Werkzeug müssen gesucht und verstaut werden. Für den Notfall nehmen wir einen kleinen Motor mit, das Boot braucht noch eine Motorhalterung. So wie gedacht funktioniert das alles nicht, also fährt Lars kurz vor 20 Uhr zum Baumarkt. Schrauben kaufen für 15 Euro die Packung. In der Zwischenzeit baut der kleine Wolfgang eine neue Motorhalterung und ich klebe das Namensschild -Oma‘ am Bug und den Namen des Heimathafens am Heck an.Zu unserem Glück ist heute Seesporttag, es sind viele Mitglieder im Verein, die mit anpacken. Allein auf uns gestellt könnten wir morgen nicht starten. Anruf bei Herrn Affelt, dem Vorsitzenden des Yachtclubs Postelwitz, Absprache, dass wir am nächsten Tag gegen 12 Uhr zum slippen ankommen.
Wir schaffen nicht alles, was wir uns für heute vorgenommen haben. Das Gepäck ist noch nicht in der XY verstaut und einen Probeschlag auf der Elbehaben wir auch nicht gemacht. Ich vertraue auf das Schicksal, die Qualität der Oma und Kapitän Lars.
Trotz der knappen Zeit steht das Boot auf dem Trailer als wir den Verein verlassen. 21.37 Uhr stürmen wir ins Kaufland und versorgen uns für die nächsten Tage mit Büchsenfutter, Brot, Prosecco, Äpfeln und Möhrchen. Bis Null Uhr hat die Räumerei kein Ende, die Seesäcke werden gepackt, das Angelzeug klariert und die Bücher ausgewählt. Die Nacht schlafen wir vor lauter Spannung und Vorfreude ganz unruhig.
21.08.09 Mit dem Auto vom Dessauer Seesport zum Yachtclub Postelwitz
6 Uhr scheucht Unruhelars mich aus dem Bett. Duschen, in den Seesport fahren, das Gepäck in der XY verstauen. Alles passt rein:
2 Seesäcke mit Klamotten, eine große Waschtasche, eine Tasche mit Kochzeug (Topf und Campingkocher), 2 Hocker mit Besteck und Geschirr, Taschenlampen, Luftmatratze, Luftpumpe, Angeln, Angelkoffer, Werkzeugkiste, 2 Kanister Benzin, Pütz, 3Tüten Büchsenfutter, 6 Flaschen Wasser, 2 Flaschen Prosecco, 3 Schlafsäcke, Zelt, 1 Decke, 2 Paar Gummistiefel, 1 Tüte Schuhe (von jedem 2 Paar), 2 Segelanzüge, 2 Schwimmwesten, 1 Rucksack mit 10 Büchern, Schreibzeug, Kalender, Handys, Fotoapparat und Müllsäcke.
8.30 Uhr Start im Seesport Dessau, Lars Mutter abholen. Sie fährt Auto und Trailer zurück nach Dessau und vernachlässigt für uns ihre geliebten Hunde.
12.30 Uhr empfängt uns in Postelwitz der Hafenmeister. Weil es einen Schienenslip mit Kran gibt, geht das Slippen schnell und ohne Kraftanstrengung. Der Technik und dem Hafenmeister sei dank, auch wenn Lars bei dem Slippreis von 25 € die Gesichtszüge entgleiten und er kopfschüttelnd an unseren Vorsitzenden Herrn Schmidt denkt, der sich angesichts dieser Preise die struppligen Haare raufen wird.
Kaum im Wasser schippern wir geradewegs in die erste Untiefe. Der Hafenmeister brüllt: -rückwärts raus!“, aber Kapitän Lars noch nicht mit dem Motor vertraut, findet den Rückwärtsgang nicht so schnell. Wir legen im 20 Meter entfernten Yachtclub an, verabschieden uns von Margit, klarieren das Boot und haben Hunger. Der Hafenmeister empfiehlt das Essen in der Schrammsteinbaude. Wir beschließen einen Ausflug in die skurrile Landschaft zu machen. Dreieinhalb Stunden später knacken unsere Knie und unsere Gesichter strahlen die Zufriedenheit der Gipfelstürmer und Schrammsteinbezwinger aus.
Heute testen wir die Oma. Probesegeln – mit dem Motor Richtung Schmilka und zurück nach Postelwitz mit dem Segel. Groß und Fock. Wir haben das Groß vom Pirat mit, damit wir es reffen können, falls der Wind zu heftig wird.
Der erste Urlaubstag vergeht entspannt. Einziger Streitpunkt, auch nach vier Jahren mitsegeln kann ich noch keinen Knoten. Ich verwechsele vorn und hinten, Bug und Heck. Backbord links und Steuerbord rechts weiß ich inzwischen, aber was davon wird rot und was grün gekennzeichnet? Ich rede mich damit heraus, dass ich keine Fremdsprachenbegabung habe und Seglerlatein nun mal eine Fremdsprache ist.
Die Kennzeichnung von Backbord und Steuerbord spielt zum Glück während unserer Reise keine Rolle, auf der Elbe sind rechtes oder linkes Ufer gekennzeichnet.
Genüsslich trinken wir ein Abendbier auf der Terrasse des schwimmenden Clubhauses. Ein Wohnboot. Toilette und Dusche getrennt verfügt es über eine Schlafkoje mit vier Betten und einen Aufenthaltsraum mit amerikanischer Küche. Übernachtungskosten im Hausboot 5 € und pro Boot 0,50 € der Bootsmeter. Ansonsten: pro Person 2,50 €, 1€ duschen und das Bier für 0,75 €.
Bei der Verwandlung des Schiffsrumpfes in ein Schlafnest zeigt sich, dass Lars ein gutes Augenmaß hat. Die einen Meter breite Matratze passt gerade so ins Boot.
22.08.09 Yachtclub Postelwitz bis zum Dresdner Segelverein Pillnitzer Insel 1928
km 8 rechtes Ufer bis km 43 linkes Ufer: Nach schaukelndem Erwachen lüpfen wir die Persenning und erstarren in der Bewegung. Ganz nah auf dem Steg sitzt ein Alcedo atthis, ein türkisleuchtender Eisvogel mit rotblauem Spechtschnabel und kurzem Hals. Von unseren Blicken aufgeschreckt flüchtet er in den Morgenhimmel.
Schon nach dieser ersten Nacht ist klar: das Zelt hätten wir zu Hause lassenkönnen. Es schläft sich wundervoll im Boot! Sicher, das morgen- und abendliche Räumen ist aufwendig, aber das hätten wir beim Zelten und der Schlaf wäre nicht halb so idyllisch – kein Schaukeln und Plätschern, keine nächtlichen Fischräuber und kein Schniefen umherziehender Bisamratten.10 Uhr legen wir ab. Erstes Tagesziel ist Bad Schandau und die Hoffnung auf Frühstück. Die Wespen vertreiben uns vom Freisitz des Bäckers in das Ladeninnere, Brötchen essen, Kaffee trinken und Zeitung lesen. Die erste Meldung der sächsischen Zeitung, fällt mich an:
Die achtjährige Melanie aus Leipzig wurde nach drei Tagen im Stötteritzer Wäldchen gefunden. Die Polizei geht von einem Verbrechen aus. In was für einer Stadt lebe ich eigentlich, letztes Jahr Mitja, dieses Jahr Melanie.
Lars, der meinen Stimmungswechsel bemerkt, beendet unser Frühstück. Wir suchen in Bad Schandau nach einem Fotogeschäft. Der Akku unserer Kamera ist hinüber, aber wir haben kein Glück. Auf dieser Reise mit der Oma müssen wir uns mit Handyfotos begnügen.
Für heute planen wir einen Zwischenstopp in Wehlen und eine Wanderung auf die Bastei. Aufgrund des fehlenden Windes kommen wir nur mit Strömungsgeschwindigkeit voran, wir entscheiden uns gegen die Wanderung.
[singlepic=8,320,240,,]Wenn unsere Geschwindigkeit so bleibt, schaffen wir es ganz sicher nicht am Donnerstag in Dessau anzulegen. Wir müssen mindestens 37 km am Tag schaffen, um die 260 km zu bewältigen. Wir freunden uns mit dem Gedanken an, die Reise eventuell in zwei Etappen zurückzulegen. Wenn wir Donnerstag nicht in Dessau sind, lassen wir uns mit dem Bus abholen und segeln ein paar Tage später nach Hause. In 30 min schaffen wir gerade mal 4 km.
Wolfgang Schmidt, unser Vereinsvorsitzender ruft an und fragt, ob alles in Ordnung ist. Das Boot läuft, wir haben nichts zu meckern. Für den wenigen Wind können wir ihn leider nicht verantwortlich machen.
Erste Verunsicherung an der Gierseilfähre Rathen. Gibt die Fähre vor dem Ablegen ein Signal? In unserem Tourenführer -Törnführer Elbe Band 1′ (Doris und Andreas Saal, Heel Verlag, 2005, 29,95 €) steht nichts davon. Der dröhnende Raddampfer -‚Leipzig‘ macht so viel Wellen, dass wir Wasser schöpfen.
Der Kapitän der ‚Ann-Marie‘ hat uns als nächste Übernachtungsmöglichkeit seinen Heimatverein -Löschwitz‘ empfohlen. Bei den Segelbedingungen heute werden wir den nicht erreichen. Stattdessen laufen wir in den Hafen des Segelvereins Pillnitzer Insel 1928, gleich gegenüber Schloss Pillnitz ein.
2002 verlor der Verein sein altes Vereinshaus samt aller aus den Gründungsjahren erhaltenen Urkunden und Pokale. Heute gibt es auf dem Gelände eine moderne Duschanlage, eine Containermesse und eine Schaukel.
Wir kochen unser Süppchen unter freiem Himmel und unterm Sternenhimmel gehe ich im vereinseigenen Pool schwimmen.
23.08.09 Dresdner Segelverein Pillnitzer Insel 1928 bis Yachtsteg Winterhafen Meißen
km 43 linkes Ufer bis km 83,20 rechtes Ufer: 9.30 Uhr Aufstehen bei starkem Wind und Regen. In der Nacht trommelte es beruhigend auf der Persenning.
Nach fünfzehn Minuten Spaziergang frühstücken wir im Konsum von Klein Zschachwitz. Unterdessen schiebt sich die Sonne zwischen die Restwolken und vertreibt den Regen. Nur der Wind bleibt. -Windstärke 5-6 mit Böen“ schätzt Lars. Mich gruselt vor der Windstärke, ihn gruselt der Wind von vorn.
Nur mit der Fock lässt sich das Boot nicht steuern und für das Groß ist zu viel Wind. Der Motor verwandelt die XY in ein grummelndes Stück Plastik mit Fetzen dran.
In Loschwitz, kurz nach der ersten Dresdner Brücke, hissen wir die Segel. Kreuzen mit dem Gross erweist sich als Illusion. Gegen den Wind haben wir keine Chance. Wir werden zurückgetrieben. Weiter mit dem Motor.
Endlos ziehen sich die Elbwiesen an Weinbergen entlang, bespickt mit alten Schlössern und Villen. Am linken Ufer ein Fest, am rechten Ufer Drachsteiger. Der Fleischdampfer -Gräfin Cosel‘ bringt uns mit seinen hohen Wellen fast zum Kentern. Dank der schnellen Reaktion des Kapitäns schöpfen wir nur wenig Elbewasser.
Der Motor arbeitet, wir haben die Hände frei. Ich schmiere Leberwurstbrote, dazu gibt es Möhrchen. Obwohl die Sonne scheint, ist mir vom Wind so kalt, dass ich meine Segelsachen anziehe.
Cool, mit Sonnenbrille und geblähtem Segel sah ich uns durch die Flaniermeile Dresdens schippern. Aber -angeben ist doof‘ sagt die Oma und streikt. Sie will nicht segeln und der Motor ohne Sprit nicht arbeiten. Lars packt angesichts von so viel Widerstand die Kenterangst. Bei starkem Schiffsverkehr zwischen Restaurantriesen und einer Windströmung die uns Huckepack nimmt und zurückzwingen will, lasse ich mich vom Kapitänsgebrüll: -Los, mach mit!‘ und den Paddelkommandos -Und eins, und eins, und…‘ nicht abschrecken. Als schwitzender Galeerensklave mühe ich mich zwischen Höhe der staatlichen Kunsthochschule und der Brühlschen Terrassen bis hinter die Marienbrücke mit dem Holzpaddel.
Nach den Brücken könnten wir angeben, aber da gibt es keine Zuschauer mehr. Mit gerefftem Groß geht es vorbei an Feuerwerk und Fangebrüll der Dynamos, vorbei am Jugendschiff, auf dem ich vor Jahren eine Weiterbildung absolviert habe. Wir kreuzen bis zum Yachtsteg Winterhafen. Zur Strafe für das vergessene Auffüllen des Tankes und seine Paddelkommandos haut sich der Kapitän das Groß um die Ohren. Ich gebe mir große Mühe nicht breit zu grinsen.
Im Yachthafen tanken wir und nutzen den Luxus einer verschließbaren Toilette. Kaffeedurst führt uns auf die Elbwiese zum Beachclub. Wir sind im Urlaub, also genieße ich neben dem Kaffee ein fettes Eis, träume vom Elbereisen auf richtigen Booten, bewundere ein Hausboot und… der Lars hat Hummeln und will weiter.
Das grenzt schon an Kilometer schrubben.
Seit der Pause im Yachthafen kreuzen wir, sind aber insgesamt nicht schneller als Fließgeschwindigkeit. Jetzt ist es 17.15 Uhr und wir sind erst bei Kilometer 63. Unser avisiertes Ziel ist Meißen, aber das werden wir heute kaum erreichen. Wir orientieren auf Radebeul. Schon lange will ich wieder mal ins Indianermuseum. Als Kind habe ich diese Ausflüge zu den Karl-May-Indianern sehr gemocht. Diese schräge Gestalt hat in Leipzig einen Pelz geklaut und sich damit freie Zeit verschafft. Dachte sich im Gefängnis Geschichten über das Leben der Indianer aus und wurde damit berühmt. Ich wollte immer gern der letzte Mohikaner sein.
Auf den bisher 60 Kilometern ist uns bisher nur ein Segler begegnet, die wenigen anderen fahren unter Motor. Vor Radebeul kommt Wind auf und wir sind so in Fahrt, dass wir das Indianermuseum als Winterausflug im Kopf notieren und vorbeisegeln.
Höhe Radebeul ändert sich die Landschaft. Zwischen steinigem Ufer gibt es Sandstrand und immer häufiger Buhnen. Es wird hügeliger.
Am Ufer stehen fluchtbereite Reiher die uns mit ihren Blicken verfolgen.
Ich kann es nicht leiden, wenn ich das Ruder übernehmen soll. Das ist wie blind Autofahren. Aber ich muss, denn will der Kapitän unbedingt den Pegel der Elbe anheben. Bis auf wenige Dialoge plätschert der Tag auf dem Wasser schweigsam dahin:
„Mein Schuh hat sich in der Segelstrippe verhangen.“
„Ach, Du meinst die Fockschot. Die Luvschot ein wenig lockerer!“
„Was soll ich machen?“
„Die Luvschot lockerer!“
„Das hier?“
„Nein, die andere Seite!“
[singlepic=31,320,240,,]20.25 Uhr Ankunft am Yachtsteg Winterhafen Meißen. Bis Kilometer 78 surften wir auf der Oma über die Elbe, jetzt ist wieder Flaute. Diesen Tag beenden wir, wie wir ihn begonnen haben: der Motor schippert uns die letzten fünf Kilometer durch mediterrane Landschaft, vorbei an Weinbergen, dem Meißner Dom, der Albrechtsburg.
Die Betreiberin des Yachtsteges und Wirtin des Schiffsbistrorantes Frau Hoffmann empfängt uns am Steg. Trotz abklingendem Stress der Schulanfangsfeiern – der Abwasch ist gerade erledigt – bereitet sie für uns lecker Soljanka und Anlegebierchen. Lars macht angesichts der Soljanka ein verzweifeltes Gesicht und nach einem Blick in die Küche bettelt er buchstäblich um eine Boulette. Die Wirtin bleibt hart, die Bouletten gehören zu den Vorbereitungen für den nächsten Tag. Auf ihrem Programm stehen 2 Geburtstagsfeiern, eine Mittagsgesellschaft und Fahrten mit der Lotti, gesteuert vom Ehemann der Wirtin.
Heute Abend komme ich nicht weit mit Lesen. Auf Seite 20 gibt die Taschenlampe den Batteriegeist auf und Lars schläft. Ich lausche mich mit Regen und Wasserjagdszenen in den Schlaf.
24.08.09 Yachtsteg Winterhafen Meißen – Marinekameradschaft Riesa
km 83,20 rechtes Ufer bis km 106,30: 9.30 Uhr Aufstehen. Es regnet und nach einem Blick in die Sanitätsräume entscheide ich mich gegen das Duschen. Fünfzig Cent sind zwar ein guter Preis für vier Minuten duschen, aber nach den vier Minuten, müsste ich die Dusche verlassen, um ein neues Geldstück einzuwerfen. Der Plastikduschvorhang und das nicht Regulieren können der Wassertemperatur bestärken meinen Entschluss. Eine Outdoor-Urlauberin darf auch mal einen Tag lang ein Stinki sein.
Von den Wirtsleuten ergaunern wir einen Kaffee und beratschlagen, wie die Reise heute weitergehen soll. Wegen des strömenden Regens ziehen wir Segelanzüge und Gummistiefel an und suchen in der Meißner Idylle einen Ort für ein ausgiebiges Frühstück. In der Altstadt finden wir das Café Journal. Frühstück mit Tee und Ei und ausgiebiger Zeitungslektüre.
‚Jetzt steht es fest, dass Mädchen Melanie wurde ermordet. Der Teich, an dem sie von Spaziergängern gefunden wurde, wird abgelassen und auf Spuren untersucht. 10.000 € Belohnung sind ausgeschrieben und es werden Profiler eingesetzt. Die Polizei hat eine Informationssperre verhängt, da befürchtet wird, dass Informationen den Täter warnen könnten.‘
Die zweite Meldung ist zwar ein wenig positiver, immerhin sind einige Täter gefasst, aber der Tee schmeckt trotzdem bitter und der Mund verschmäht das so leckere Rührei.
‚Das LKA-Bayern hat einen internationalen Kinderpornoring aufgedeckt. Die entdeckte Seite stand einen Monat im Internet und es haben 48.000 Menschen darauf zugegriffen. 48.000 Menschen, die sich am Elend von Kindern ergötzt haben. 1000 dieser Nutzer kamen aus Deutschland. Im Zuge dessen wurden auch drei Fälle von Kindesmissbrauch an Töchtern und Stieftöchtern aufgedeckt. Inzwischen werden vereinzelt Stimmen laut, die fordern, dass auch die Nutzer von Kinderpornographie stärker als bisher zur Verantwortung gezogen und bestraft werden.‘ Ich persönlich plädiere für Veröffentlichung der Namen im Internet. Bei Ersttätern für zwei Jahre, bei Folgetätern lebenslänglich und für Nutzer ebenso. Das Argument, die Lebensqualität der Täter würde dadurch nachhaltig beeinträchtigt, zählt aus meiner Sicht nicht, denn die Lebensqualität der Opfer ist, auch wenn der Missbrauch aufgedeckt und beendet ist, lebenslänglich beeinträchtigt.
Regelrecht liebenswert wirkt daneben diese Nachricht:
‚In Frankreich wurde von der Polizei ein blinder, alkoholisierter Autofahrer angehalten.‘
Ich dachte immer so etwas gibt es nur im Film mit Robert de Niro.
Satt und gewärmt trampeln wir auf siebenjahrhundert alten Wegen zu Albrechtsburg und Dom, mit quietschenden Gummistiefeln durch Touristenschwärme. Runter vom Rundwanderweg gibt es Eis an der Tanke und frisches Trinkwasser für unterwegs.
Abfahrt 13.36 Uhr. Ziel: Riesa. Die Segel lassen wir unten, böiger Wind von vorn. Da macht nicht einmal Kreuzen Sinn. Lars wirft missmutig den Motor an und Nüsse in seinen Mund. Der Motor leistet Schwerstarbeit. Ich überlasse die beiden ihrer Aufgabe und lese.
14.25 Uhr, wir setzen die Fock. Bei Kilometer 89,79 müssen wir vor der Gierseilfähre kreuzen und warten, bis sie am rechten Ufer anlegt. Bei dem Manöver verliert der Kapitän seine Mütze, also lautet das Kommando: Mütze über Bord. Rettungsleine raus und der erste Offizier krabbelt an die Bugspitze und angelt die Kapitänsmütze aus dem Elbstrudel.
Ab Kilometer 93 wird Lars Blick wird immer gespannter. ‚Kentergefahr‘. Windböen, die ich nicht bemerke. Im Vertrauen auf seine Seglererfahrung, werfe meinen angebissenen Apfel ins Wasser, hole die Schwerter ein und die Fock runter. Weiter geht es mit Motor, vorbei an Weinbergen und Villen. Im Weinberg ist eine Tafel mit weißen Tischtüchern aufgestellt. Menschen feiern hier das Leben, den Schulanfang oder sich selbst. So viel Italien, mitten in Deutschland, da stört auch der Motorenlärm nicht beim Träumen.
18.30 Uhr erreichen wir unser Ziel, die Marinekameradschaft Riesa. Die Tore stehen offen, das Gelände verlassen. Am Vereinstor stehen Telefonnummern und nach zehn Minuten erreicht uns Herr C., der ganz in der Nähe wohnt. Wir sprechen über Vereinsleben. Wie sehr sich die Probleme ähneln: stagnierende Mitgliederzahlen und aufgrund der Berufstätigkeit der meisten Mitglieder ein auf die Notwendigkeiten beschränktes Vereinsleben. Bei der Pflege der Räume und der Anlage helfen dem Verein zwei Ein-Euro-Jobber – wer findet sich sonst zum Toiletten putzen? Die anfallenden Arbeiten müssen erledigt werden, also sah der Vorstand sich gezwungen die Mitgliedsbeiträge und die Zahl der verpflichtenden Arbeitsstunden zu erhöhen: Mitgliedsbeitrag 170 € unermäßigt, es gibt auch gestaffelte Ermäßigungen. Jeden zweiten Samstag im Monat ist Arbeitseinsatz. Wer zum Arbeitseinsatz nicht kann, kann sich mit 10 € pro Stunde davon freikaufen. Wir schlucken. Wie paradiesisch ist doch der Seesportverein Dessau.
Die Erhöhung der Beiträge führte noch einmal zu einem Mitgliederschwund, was zur Folge hat, dass die Riesaer nicht mehr Regattasegeln. Um wirtschaftlich zu bleiben und die notwendigen Mittel für Nebenkosten und Pacht zu erwirtschaften, wurden zwei ZK 10 überdacht. Das Angebot der Mietboote für Geburtstagsfahrten und ähnliches wird gut angenommen. Immer wieder stellt sich aber die Frage: Wer hat und nimmt sich die Zeit und steuert diese Fahrten? Die ehrenamtliche Arbeit verteilt sich auf wenige Köpfe. Das sorgt für Frustpotential bei allen Beteiligten. Bei all diesen Missständen ist der Verein zu recht stolz auf seine Ruderaktivitäten, auch wenn die Rudermannschaft mitunter die gerade erforderliche Teilnehmerzahl erreicht. Einen Höhepunkt des Vereinslebens bildet die jährliche Teilnahme am 25.000 m Kutterrudern in Amsterdam.
Unser Gastgeber meldet uns zum Essen in der Pension Große an, so dass die Küche dort für uns bis 20 Uhr geöffnet bleibt. Bei Eisbein, Geschnetzeltem, Bier und Kaffee erholen wir uns vom Nichtstun. Im Anschluss erkunden wir Riesa. Entgegen unserer Annahme, wir befänden uns in einem Vorort von Riesa, sind wir, kaum 1 km von der Marinekameradschaft entfernt, mitten im Zentrum. Wir entdecken einen Angelladen, in dem es neben Anglerbedarf ostalgische Eierschneider, Reitersättel, Tierfutter und Bier zu kaufen gibt.
Durch den Stadtpark zurück an der Elbe liegen wir 21.30 Uhr im Boot. Ich lese Hanna Kral.
25.08.09 Marinekameradschaft Riesa bis Motorsportclub Torgau
km 106,30 bis km 154,30 linkes Ufer: 10 Uhr aufstehen, Boot klarieren, duschen und im Zentrum einen Bäcker suchen. Neben Banken, Kosmetikstudios und Friseurgeschäften ist das Zentrum ein Tummelplatz für Dönerläden und Pizzerien, Pfennigbedarfsgeschäfte und Läden mit so einprägsamen Titeln wie ‚Nu ma gucken‘. Neben aller Tristesse gibt es aber auch vergangene Schönheit zu bewundern, wie den von herrschaftlichen alten Treppen verzierten Stadtpark und gleich neben dem Rathaus gelegen, das restaurierte Kloster. Für eine Besichtigung nehmen wir uns nicht die Zeit, wir bewundern den Bau im Vorbeigehen von Außen.
Meine Traurigkeit kann ich heute nur schwer verstecken, habe meine Nordfacejacke verloren und mir sitzt der Traum der letzen Nacht noch in den Gliedern:
Riesaer Skinheads haben uns überfallen und mit ihren Baseballschlägern auf die Persenning eingedroschen. Wir lagen eng aneinandergeklammert und haben nicht gewagt, uns bemerkbar zu machen.
Zum Glück hat Zappel-Lars mich im Schlaf gerempelt und ich bin aus dem Traum gefallen. Schlafen konnte ich nicht wieder.
12.30 Uhr Abfahrt. Kein Wind, der Himmel bedeckt und ab und an tröpfelt es aus stetigem Grau. Wir wollen 40 km bis zum Hafen Belgern schaffen, vorher gibt es keine Anlegemöglichkeiten für Sport- und Segelboote.
Nach einer Stunde Motorenlärm, plötzlich Stille. Der Motor streikt, der Wind auch, also paddeln. Nach vier Kilometern bin ich nass und erschöpft. Die Elbgöttin sieht mein Elend und schickt Wind. Gerade so viel, dass wir unter Fock und Groß gut vorankommen. Bis zur nächsten Gierseilfähre. Panik beim Kapitän, die Fähre liegt auf der falschen Seite. Wir haben weder Bremse, noch Motor. Lars steuert zum linken Ufer, ich hole die Segel ein. Er springt von Bord und spielt Anker. Als die Fähre am rechten Ufer festmacht, paddeln wir was unsere mitteleuropäisch verwöhnten ßrmchen hergeben. Die Fährleute grinsen. Ist wahrscheinlich das Bobon im Fährbetriebsalltag, unmotorisierte Segler und Paddler quälen.
18 Uhr segeln wir an Belgern vorbei. Der Wind ist stetig, das Boot läuft so gut, wir wollen bis Torgau weiter. Unsere telefonische Voranmeldung lässt nichts Gutes ahnen: der Vorsitzende erlaubt uns anzulegen, wird aber niemanden finden, der für uns die Steganlage aufschließt. Alle sind bei einer Feier. Das heißt, zeitig schlafen gehen, denn wenn der Steg verschlossen ist, müssen wir im Boot bleiben.
Die Glücksfee ist uns hold, der Enkel des Vorsitzenden erwartet uns mit dem Schlüssel am Steg. Beim Anlegemanöver stelle ich mich unseefraulich an: ich versuche das Boot vom Steg abzuhalten und gleichzeitig auf den Steg zu klettern. Ohne Lars schnelles Handeln hätte die Elbe einen großen Fisch an ihr kaltes Herz gezogen.
Sanitäreinrichtungen gibt es keine, dafür endlos hohes Gras und Gebüsch. Für Zähneputzen und Katzenwäsche haben wir genügend Wasser an Bord und für andere Geschäftlichkeiten vertrauen wir auf Torgaus gastronomische Einrichtungen.
Nach dem Vorbereiten unseres Nachtlagers im Bauch der Oma spazieren wir auf die nächtlich erleuchtete Burg Hartenfels, vorbei am Denkmal zur Erinnerung an den 25. April 1945, das Zusammentreffen der Roten Armee mit den Alliierten. Auf der Suche nach Essbarem finden wir wieder einmal einen Angelladen. Diesmal aber einen richtigen, ausschließlichen Angelladen. Das gibt Hoffnung auf Morgen. Bisher haben wir niemanden gefunden, der Lars eine Angelkarte verkauft. Insgeheim denke ich, dass er sowieso abends viel zu müde ist und lieber nach dem Essen schlafen geht. Den ganzen Tag im Freien, dass macht hungrig und müde. Jede Nacht rauben riesige Elbungeheuer neben unserem Boot und machen sich über Lars lustig. Die wissen, dass er sie nicht fangen darf.
Auf dem Torgauer Marktplatz eine ßberraschung: Abendessen bei Ricardo. Es gibt einen sensationellen Tomatensalat mit Parmesan und Bassilikum, leckere Calzone und mit Schafskäse überbackenen Brokkoli.
26.08. 08 Motorsportclub Torgau bis Kanuverein Harmonie Elster-Elbe
km 154,30 linkes Ufer bis km 200,65 rechtes Ufer: 9.30 Uhr aufstehen, Katzenwäsche, Boot klarieren, den Po ins hohe Gras halten. Die Sonne scheint und Wind gibt es auch. Frühstück beim Bäcker Raddatz, LVZ kaufen und Kaffee trinken bei Ricardo.
In Leipzig gab es wegen Michelle die erste Demo. 500 ReudnitzerInnen, darunter 300 Neonazis gehen für mehr Kindersicherheit auf die Straße. Prinzipiell sicher richtig, aber verbietet es sich nicht von selbst, den gewaltsamen Tod eines Kindes derart für die politische Propaganda einer an sich menschenverachtenden Gruppierung zu benutzen?
Zielgröße heute: km 200. Nachdem uns der heftige Wind gestern mit Fock- und Großschot die Hände wund gerieben hat, ist heute der erste, wirklich perfekte Segeltag: Sonne im Gesicht, Wind von hinten surfen wir von Geisterhand getragen durch stille Elbelandschaften. Am Ufer hektisches Treiben: Fischreiher, Graureiher, Kormorane und Möwen beglotzen uns voller Misstrauen. Die Ängstlichsten flattern aufgeregt schimpfend davon. Unsere ständigen Begleiter sind gelbgrünblauorangene Riesenlibellen, leuchtende kleine Hubschrauber im Miniformat, die sich von uns mitnehmen lassen.
[singlepic=34,320,240,,]In den vergangenen beiden Tagen wechselte die Landschaft von mitteldeutscher Elbaue bis hin zum norddeutschen Deich – weit und breit kein Baum, Hügel oder Strauch. Felder und Wiesen wechseln sich ab mit Pappeln und Sträuchern, Büschen und den zu dieser Landschaft gehörenden Mistelnestern.
Immer wieder müssen wir das Groß reffen, weil der Wind zu böig wird und den Kapitän Kenterängste überfallen. Die gefährlichsten Manöver finden täglich vor den Gierseilfähren statt, die nie ein Signal geben, wenn sie vom Ufer ablegen.
Wieder einmal ein erzwungener Halt in einer Buhne und hektischer Aufbruch nach Anlegen der Fähre. Lars springt mit sandignassen Füßen ins Boot und ich darf schrubben. Als nächstes verwandle ich mich in Trimmfleisch. Ich verliere immer mehr die Scheu, mich aus dem Boot zu hängen und mit meinem Gewicht das Boot im Gleichgewicht zu halten, mit meinem Körper gegen den Wind zu kämpfen, Zwiesprache zu halten mit einer Kraft, die so wundervoll und tückisch in einem ist. Ich hänge an die Fockschot geklammert mit voller Kraft über Bord, die Bauchmuskeln fest gespannt. Â Plötzlich ein Windloch. Nur meine angespannten Muskeln verhindern, dass ich ins Wasser falle.
Der Kapitän hat Langeweile und ruft das Projekt -Lernende Organisation Oma‘ ins Leben. Das funktioniert so: der Kapitän ruft mir Kommandos zu z.B. -Ree!‘ und sagt mir genau, wie lange ich die Fock ‚back‘ halten soll, wann ich als Trimmfleisch die Seiten wechseln muss, welche Schot und welches Fall ich zu bedienen habe. Nach einer gewissen Anlernzeit erwartet er, dass ich selbst weiß, was nach einem Kommando zu tun ist. Habe ich das eine begriffen, fängt er mit dem nächsten Kommando an. Bin ich zu langsam, treffen mich kurze und gebellte Kommandos: -Und Ree!‘.
Dank dem Projekt LO Oma darf ich mich künftig beim Kutterklarieren nützlich machen und nicht wie bisher verträumt in die Welt glotzen. Schade eigentlich, Dummheit schützt vor Arbeit. Aber doof anstellen kann ich mich ja immer noch.
Bei Kilometer 198,60 fließt die schwarze Elster in die Elbe, daher der Name unseres nächsten Nachtquartiers: Elster-Elbe. Wir haben heute 47 km geschafft und das nur mit segeln. Der Kanuverein ist die erste Unterkunft unserer Elbtour, die vom Hochwasser 2002 verschont blieb. Zwar stand das Wasser auch hier kurz vor dem Gebäude, aber es entstand kein Gebäudeschaden.
Der Verein hat keinen Steg, keinen Anleger, nur eine Sandbuhne. Wir mieten zwei Betten in einem Zimmer vom Flair einer Jugendherberge: zwei Doppelstockbetten und ein Einzelbett stehen im Raum. Lars verwandelt sich kurzerhand vom Kapitän in einen Ingenieur und knotet uns aus den Gegebenheiten ein Doppelbett zusammen.
Abendessen gibt es im Zentrum, direkt neben der Fähre. Merkwürdig, dass so ein kleiner Ort über sieben gastronomische Einrichtungen verfügt. Von Pizza über gutbürgerlich, chinesisch, griechisch bis hin zur Eisdiele gibt es alles, obwohl die Bordsteine mit Einbruch der Dunkelheit ganz offensichtlich weggeklappt wurden. Wir entscheiden uns für den Griechen und seine Elbterrassen. Die Aussicht auf die Elbe ist so schön. Obwohl wir den ganzen Tag darauf rumschippern, haben wir noch nicht genug davon.
Das Essen war gut und der Ouzo die notwendige Einschlafhilfe im Mückenzimmer.
27.08. 08 Kanuverein Harmonie Elster-Elbe bis Segelverein Coswig
km 200,65 rechtes Ufer bis km 236,60 rechtes Ufer: Wir verbringen die schrecklichste Nacht der Reise in diesem Zimmer. Neben der Mückenplage und der stickigen Luft, plagen mich Alpträume. Lars liegt wach neben mir, spürt dass ich schlecht träume. Er weckt mich mit einem Nasekitzeln. Ich küsse seine aus schlafverquollenen Augen und flüchte vor meinen Träumen auf die Terrasse, in die morgendliche Elbstille und in ein Buch. Wie öde wäre mein Leben ohne Bücher. Nein, mir genügt dieses eine mir zur Verfügung stehende Leben nicht. Ich will mehr davon und dieses Mehr finde ich immer zwischen zwei Buchdeckeln. Gefällt es mir in der einen Welt gerade nicht, dann wechsle ich in eine andere und tauche erst wieder auf, wenn ich genügend Kraft und Energie für die Realitäten getankt habe. Insofern befriedigen Bücher nicht nur meinen Lebensdrang und meinen Wissensdurst, sondern sie sind mir auch stetige Energiequelle.
In der Küche duftet es nach Kaffee, ich nehme mir eine Tasse davon. Die beiden Radwanderer sehen es gelassen. Sie sind unterwegs von Magdeburg nach Dresden und testen den Elberadweg. 50 km am Tag. Gerade laufen können sie schon heute nicht mehr. Ich beobachte die beiden, wie sie ihr Zelt abbauen und ihr Gepäck in Miniportionen verstauen. Im Gegensatz zu unserem alltäglichen Boot klarieren erscheint mir dies extrem aufwendig und ich bin der Oma dankbar für den spartanischen Komfort den sie uns bietet.
8.47 Uhr linst Lars auf meine inzwischen leere Kaffeetasse. Noch neidvoller wird sein Blick Minuten später. Ein Angler wirft seine Angel in die Elbe und holt Sekunden später einen Fisch raus. Der Angler in Lars will so viel Anglerglück nicht glauben. Er muss sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass der andere nicht die Fischkinderstube der Elbe ausraubt. Hat er nicht. Der Fisch ist ein 86 cm langer Hecht und der Angler ein sehr korrekter Mann. Er führt ein Anglertagebuch: Tag, Uhrzeit, Fischart und Größe sowie Kilometerstand der Elbe werden akribisch eingetragen. Wir witzeln, was wohl in Lars Anglertagebuch stehen würde: km 263, Barsch, 15 cm, Selbstmordkandidat, hat sich 3-mal im Abstand von zwei Tagen in Lars Angel verbissen.
Heute Wind von Südwest. Lars Traum ist es, so früh wie möglich in Coswig anzulegen, denn ab da gilt sein Angelschein. Bis auf die Gierseilfähren verläuft die Tour ohne Probleme. Der Wind weht mäßig, so dass ich immer wieder ein paar Seiten lesen kann.
Zwischenstopp in Wittenberg bei den Seesportlern, wir begutachten das Elend nach der Brandstiftung. Es ist erschreckend, wie so ein Feuer wüten kann, wie sichtbar der Schaden ist: neben der abgebrannten Halle in der nur wenige ßberreste der Bootstechnik zu sehen sind, steht auch ein traurig anzusehendes verkohltes Bootsskelett. Ob unser Verein so einen Schaden überleben würde? Die Wittenberger halten durch und werden uns auch weiterhin bei den Kutterregatten Konkurrenz machen: die beiden ZK 10, darunter der -Eumel‘ stehen unversehrt im Hof.
[singlepic=42,320,240,,]Was Luther über so viel Zerstörungswut gedacht hätte? Er verrät es uns nicht, als wir an seinem steinernen Ebenbild vorbeilaufen. An einem Café lesen wir -Italienisches Eis‘ und sind noch so vom Anblick der Zerstörung mitgenommen, dass uns erst spät auffällt, dass wir das italienische Eis beim Vietnamesen essen.
Die Windspiele verlangen während der Weiterfahrt unseren ganzen Einsatz, so dass die trüben Gedanken bald von Windböen davon getragen werden.
19.45 Uhr Ankunft in Coswig. 15 km in 4,5 Stunden. Auf dem Wasser tickt die Zeit anders.
Der Verantwortliche vom Seglerverein Coswig ist zum Glück vor Ort. Schnell das Boot zum Bett umgebaut und weg ist der Lars: Angeln. Ich setze mich mit Campingkocher, Suppen, Prosecco und Buch auf die Terrasse.
Lars ist denkbar schlecht ausgerüstet. Wir haben weder Weißbrot noch Würmer an Bord und Schwarzbrot mit Nudeln munden den Fischen nicht. Der Angler ist frustriert und müde.
Wir gehen zeitig schlafen, unsere vorerst letzte Nacht in Omas Bauch.
28.08.09 Segelverein Coswig bis Seesportverein Dessau e.V.(Leopoldshafen)
km 236,60 rechtes Ufer bis km 261,50 linkes Ufer:Lars steht lange vor mir auf und angelt. Sein Misserfolg vom Vortag lässt ihn eben so wenig in Ruhe, wie das nahende Ende unserer Reise. Den Blick aufs Wasser gerichtet schweifen die Gedanken in Richtung Lohnexperte. Diese Unkonzentriertheit scheint sich auf die Fische zu übertragen, sie wittern keine Gefahr und beißen. Wenigstens ein paar Kleine.
Während Lars angelt, träume ich.
Der Opernsänger Matthias Görne erkrankt so schlimm an Neurodermitis, dass ihn kein Regisseur mehr besetzen will. Er muss sich einen neuen Job suchen und entscheidet sich für Unterwasserfotografie. Fotografen gibt es genug, aber nur wenige haben die nötigen Mittel, sich ein Unterwasserboot im Stil der -‚Nautilus‘ von Kapitän Nemo zu bauen. Matthias hat die Mittel und lädt mich auf den ersten Tauchgang ein.
Im zweiten Traum spielt Helene die Hauptrolle. Sie fragt mich, ob sie mit einem Segelflieger mitfliegen darf. Ich sage nein, weil sie mit ihren Fragen immer so kurzfristig zu mir kommt und ich keine andere Chance mehr habe als -ja‘ oder -nein‘ zu sagen. Ich bitte sie, dass Unternehmen noch einmal zu verschieben, damit ich darüber nachdenken kann. Daraufhin erklärt sie mir, dass sie mich sowieso nur aus Höflichkeit gefragt hat, weil sie ja alt genug ist und ich ihr eigentlich nichts mehr zu sagen habe. Sie ist erwachsen und kann tun und lassen, was sie für richtig hält. Meine blöden Ängste nerven sie schon lange und wenn ich das nicht endlich begreife, will sie nichts mehr mit mir zu tun haben.
Zum Glück ist Lars von seinen Angelerfolgen – ein kleiner Hecht war dabei – so beseelt und hungrig, dass er mich weckt, bevor der Streit zwischen Lene und mir eskaliert.
Nach dem Frühstück am Stehtisch beim Launtzsch-Bäcker suchen wir ein Cafe. Ich will noch die Postkarten schreiben, die ich in Meißen gekauft habe. Am Marktplatz, auf dem Freisitz vom ‚Alten Fritz‘ gibt es Kaffee und Platz zum Schreiben. Die freundliche Kellnerin vermacht mir ihre Briefmarken, Lars geht Zeitung kaufen. Die Stadt ist grau. Die bunten Billigwaren der vietnamesischen Straßenhändler, unangemessen große Werbeschilder scheinen die Lebensfreude der Stadt in sich aufzusaugen. Der Durchgangsverkehr auf der Hauptstraße und Antons gut besuchte Getränkeoase bestimmen das Stadtbild.
Trotz der beklemmenden Tristesse zögern wir den Aufbruch so lange es geht hinaus. Noch 25 Kilometer trennen uns vom Ende der Reise.
Bei km 247 ein letztes Picknick. Die Autobahn rauscht uns näher an die Zivilisation als uns lieb ist, aber das Brot schmeckt und die Oma zeigt sich als Fotomodell von ihrer besten Seite. Die letzten Kilometer segeln wir im Bewusstsein, dass es die letzten Kilometer in diesem Urlaub sind. Wir versprechen uns, dass wir im nächsten Jahr die Reise von Dessau nach Hamburg fortsetzen.
Im Seesport erwarten uns Wolfgang und Wolfgang. Mit dem Spruch -das war einer meiner schönsten Urlaube‘ versetze ich sie in Erstaunen, sie hatten wohl ob der Enge des Bootes und des dazugehörenden spartanischen Lebens eine nörgelige Sylvia zurück erwartet. Die beiden treuen Seelen packen sofort mit an, slippen mit uns das Boot aus dem Wasser.
Während ich die Oma auslade, beladen die Anderen den Merlin. Morgen fahren sie nach Wahren, zur Kutterregatta. Schon das erste Anlegebier schmeckt wie ein richtiges Seesportbier und die Vertrautheit im Miteinander, das Gefühl von zu Hause macht den Abschied vom Globetrotterleben leichter. Lars hat von der Sonnencreme Hautausschlag und mein Körper ist von Mückenstichen zerschunden und Oma hat sich mit diversen Kratzern und blauen Flecken auf meiner Haut verewigt. Mit dem Sonnenuntergang wächst die Vorfreude auf ausgiebige Körperpflege, gesundes Essen und ein weiches Bett.
© Sylvia Tornau, 2008
Klingt so interessant! Sie haben mich in einer anderen Welt gebracht! Vielen Dank für diesen tollen Bericht!
Herzliche Grüße! Adelle