Pension Vera: Ein Blick in das Innere des Bösen
Ursula Maria Wartmann: Pension Vera. Roman
Kurz zusammengefasst lässt sich der Plot von Ursula Maria Wartmanns neuen Roman „Pension Vera“ wie folgt beschreiben: Unzufriedene Alte, die Mutter Vera, tyrannisiert seit über fünf Jahrzehnten ihren etwas aus der Form geratenen, nach Liebe und Zuneigung suchenden Sohn Marek. Mit seinen 59 Lebensjahren ist es diesem nicht gelingen, eine Frau, eine Liebe zu finden. Er ist ein Mörder, dessen Mörderlaufbahn eher zufällig beginnt. Diese Lesart von „Pension Vera“ ist eine, die sich auf den ersten Blick, nach dem ersten Lesen aufdrängt und die eindeutig zu kurz greift.
Die zweite Lesart von „Pension Vera“
Eine weitere Lesart ist die eines Kriminalromans. Marga, Mittfünfzigerin, Bibliothekarin und Schriftstellerin, mietet sich für drei Wochen in die Pension Vera ein. Sie will die Zeit in Dortmund nutzen, um ihren zweiten Kriminalroman zu schreiben und um Zeit mit Tante Körnchen zu verbringen. Der Kosename Körnchen ist Programm. So verwundert es nicht, dass die selbstbewusste alte Dame eine ist, die das Leben genießt und die gelegentlich Geschmack an etwas Hochprozentigem findet. Auch Marga hat ein ganz eigenes Verhältnis zu Alkohol. Sie nutzt ihn in „homöopathischen“ Dosen, um Schreibblockaden zu überwinden.
Marga
Marga nähert sich Marek an. In seiner Zerrissenheit bietet er eine wunderbar geeignete Vorlage für den Gegenspieler der Hauptfigur ihres Romans. Nach einer ersten Annäherung an Marek flüchtet sie vor diesem aus der Pension. Ehe sie sich versieht, steckt sie mittendrin, in einem Krimi. Sie hilft dem pubertierenden Sohn einer aus der Pension verschwundenen polnischen Putzfrau, bei der Suche nach seiner Mutter. Im Verlauf der Handlung begreift Marga, dass sie sich nicht immer aus allem heraushalten kann. Manchmal muss sie den Zuschauerplatz am Rande des Lebens auch verlassen. Sei es auch nur, um ein Leben zu retten.
„Pension Vera“ – eine Reise in die Tiefen des Miteinander
Wie von einem guten Roman erwartet, nimmt die Autorin die Leserin mit auf eine Reise. Eine Reise nach Dortmund, eine Reise in die verhängnisvollen Dimensionen des Daseins. Die Dimensionen, die wir alle ahnen, von denen wir im wirklichen Leben allerdings nicht allzu viel wissen wollen. Dabei gelingt es Ursula Maria Wartmann ihre Hauptfiguren Marek und Marga so zu zeichnen, dass man das Gefühl hat, die beiden zu kennen. Unauffällige Menschen, die es in jedem Bekanntenkreis gibt. Solche, die irgendwie dazu gehören und irgendwie auch nicht. Die eine und andere befremdliche Handlungsweise wird in das Geschehen so eingeflochten. So entsteht ein immer genaueres Bild. Die anfangs ganz tough wirkende Marga erweist sich als sehr zögerlich. Der zu Beginn als schwammig-hässlich konturierte Marek bekommt durchaus liebenswerte Züge.
Meine Empfehlung
Durch die immer detailliertere Figurenzeichnung gelingt es der Autorin, die Leserin vom schwarz/weiß Denken und Fühlen wegzulocken. Anfänglich gefällte Urteile werden immer wieder hinterfragt.
Ein sprachlich leicht lesbares Buch mit (ge-)wichtigem Inhalt. Unbedingt empfehlenswert als Lektüre nicht nur an verregneten Sommertagen.
Ursula Maria Wartmann: Pension Vera. Roman. Brockmeyer Verlag, 231 S., 12,90 €
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