Bei Komplimenten von Männern reagieren meine Trauma-Muster

Ist meine spontane Reaktion auf Situationen immer angemessen? Keineswegs. Meine erste Reaktion ist mitunter eine Reaktion aus einem Trauma-Muster heraus. Weil diese Muster unser Verhalten, unsere Reaktionen beeinflussen, ist es aus meiner Sicht wichtig, mehr über sie zu wissen. In diesem Blog-Beitrag gehe ich darauf ein, was Trauma-Muster sind, warum sie entstehen und wie sie sich zeigen.

Ein Beispiel für ein Trauma-Muster:

Ich stehe in der Pause im Garten mitten in einer Gruppe von Workshopteilnehmer*innen, als mich ein Mann anspricht. „Ich finde es bewundernswert, mit welcher Klarheit du über deine Geschichte sprechen kannst und wie lebendig du dabei wirkst!“ Mein Magen zieht sich bei diesen Worten zusammen. Drei Schritte trete ich zurück, brauche mehr Distanz zwischen uns. „Was will er von mir?“ ist der erste Gedanke. Ich mustere ihn, halte die Arme vor dem Körper verschränkt, die Schultern sind angespannt. Ich scanne die Umgebung. Alles sicher, wir sind in einer Gruppe von Menschen, hier kann mir nichts geschehen.

„Was maßt der sich an, mich zu beurteilen?“ Das ist der nächste Satz, der mir durch den Kopf schießt. Laut und mit sicherer, aber abweisender Stimme sage ich: „Das ist jahrelanges Training.“ In meinem Kopf formuliert sich ein Kurzvortrag darüber, warum es wichtig ist, dass wir ehemaligen Opfer über die Langzeitwirkungen der Traumata sprechen. Das Thema kenne ich aus dem Effeff, hier bin ich sicher.

Über mir höre ich das heisere „Kraah kraah“ Gekrächze einer Rabenkrähe. Ich sehe das leuchtende Grün der Eichenblätter im Sonnenlicht, rieche die warme Erde und spüre den warmen Windhauch auf der Haut. Im Gesicht des Mannes mir gegenüber erkenne ich warmherzige Züge und ein aufrichtiges Lächeln. Mein Körper entspannt sich, ich schaue ihm in die Augen und sage „Dankeschön“. Ich bin wieder im Hier und Jetzt angekommen.

Das alles spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab. Mein altes Trauma-Muster wirkte blitzschnell, als mich der Fremde anspricht. Ein Mann, der mich anspricht, bedeutet Gefahr, unabhängig davon, ob die Gefahr real ist oder nicht. Mein System fährt die Schutzmechanismen hoch: Distanz, Abwehr, Fluchtimpuls, Abwertung, Rückzug in den Verstand. Erst wenn mein System realisiert hat: sicher, kehrt die Entspannung zurück, meine Sinne öffnen sich wieder für das, was gerade ist.

Auch in mir wirken sie noch, die Trauma-Muster

Ich habe über 20 Jahre Therapien und Coachings hinter mir und viel Zeit und Geld investiert, um mein Trauma zu bearbeiten. Doch das bedeutet nicht, dass jetzt alles ganz easy ist. Ich fühle mich in meinem Leben, in meinem Körper angekommen, fühle mich lebendig und es gibt viele Momente, in denen ich glücklich bin über mein Leben und die Beziehungen, die ich lebe. Doch es gibt auch die Momente, in denen ich verwirrt bin, die ich nicht einordnen kann, in denen ich die Orientierung verliere. Das sind die Momente, in denen ich ganz automatisch aus den alten Verletzungen heraus reagiere, so wie im obigen Beispiel.

Lange Zeit litt ich unter dem Imposter-Syndrom, hielt mich für eine Hochstaplerin, die anderen etwas über die Integration und Heilung ihrer Traumata erzählen will und ihr Leben selbst nicht auf die Reihe bekommt. „Eine feine Therapeutin bin ich“ dachte ich damals zynisch über mich. Doch je mehr ich über Traumata lernte und darüber, wie es in uns wirkt, desto mehr konnte ich diese Scham loslassen und diese Bewertung, die mir das Therapeutin-Sein absprach. Denn ich lernte, dass diese früh erlernten Muster ihre Wirksamkeit nicht verlieren. Ich kann neue Muster erlernen und diese auch einsetzen, doch es wird immer wieder Momente geben, in denen die alten Muster noch einmal hochploppen. Wenn ich sie kenne, können sie ihre heute destruktive Wirkung nicht mehr so entfalten, wie zu der Zeit, in der dies noch unbewusste Muster waren und ich kann schneller zurück ins Hier und heute switchen.

Was sind Trauma-Muster?

Trauma-Muster sind fest verankerte Verhaltens- und Denkmuster, die sich als Reaktion auf traumatische Erlebnisse entwickeln. Sie dienen ursprünglich als Überlebensstrategien, können aber im Laufe der Zeit hinderlich werden. Ursprünglich entstanden sie als Schutzmechanismen. Traumatische Erlebnisse sind überwältigende Situationen, in denen Kinder sich hilflos, bedroht oder verängstigt fühlen.

Das sind nicht nur die Reaktionen auf ganz schlimme Erlebnisse wie Gewalt oder Vernachlässigung unserer Grundbedürfnisse, diese Muster entwickelten sich auch als Anpassungsleistung. Deine Eltern straften dich mit Liebesentzug, weil du nicht brav warst? Dann hast du ein Muster entwickelt, wie du deinen Eltern beweisen konntest, dass du ein braves Kind bist, denn Liebesentzug verängstigt Kinder. Vielleicht hast du gelernt, deine eigenen spontanen Impulse zu unterdrücken und versuchst auch heute noch, die Bedürfnisse der Menschen in deinem Umfeld zu erahnen, um ja nicht in die Situation zu kommen, dass andere Menschen dir Egoismus vorwerfen können.

Um solche Situationen zu überleben und das Kind vor weiteren Schmerzen und Leiden zu schützen, entwickelte das kindliche Gehirn spezifische Muster – Verhaltensweisen, Wahrnehmungen und Denkmuster. Diese Adaptationen waren in den Momenten des Traumas höchst nützlich und somit überlebenswichtig.

Warum Trauma-Muster im heute hinderlich oder gar destruktiv sein können

Im Verlauf des Lebens werden diese Muster jedoch oft problematisch. Sie sind fest verankert und drängen sich oft in Situationen auf, die nicht wirklich bedrohlich sind – und sorgen so für Stress, Ängste oder andere negative Emotionen und Verhaltensweisen. Den meisten Menschen sind ihre Trauma-Muster nicht bewusst und sie erleben deshalb Schwierigkeiten in ihrem Alltag, in ihren Beziehungen oder bei ihrer eigenen Selbstwahrnehmung.

Ich habe beispielsweise lange Zeit ganz enge Beziehungen vermieden, hatte ich doch in meiner Kindheit gelernt, dass die Gefahr vor allem innerhalb der Familie besteht. Doch was passiert, wenn du liebst, aber der Person, die du liebst, nicht vertrauen kannst, weil deine alten Muster immer dazwischen grätschen. Dein liebster Mensch will dich umarmen und deine Erstreaktion ist ein Zurückweichen. Wenn es dabei bleibt und du unbewusst jedes Mal zurückweichst, kann dies schlimmstenfalls zu einer Trennung führen, da er/sie sich von dir zurückgewiesen fühlt und du vielleicht nicht einmal erklären kannst, warum du zurückweichst.

Wie sich Trauma-Muster zeigen

Trauma-Muster zeigen sich auf vielfältige Weise. Sie können sich in übermäßiger Wachsamkeit, Rückzug, emotionaler Über- oder Unterreaktion, Vermeidungsverhalten oder Kontrollbedürfnissen äußern. Auch körperliche Symptome, wie Anspannung, Herzrasen oder Zittern, können ein Hinweis auf Trauma-Muster sein. Du erkennst ein Trauma-Muster daran, dass du auf eine Situation im Hier und Jetzt so heftig reagierst, wie es der Situation, bei sachlicher, nicht bewertender Betrachtung, gar nicht entspricht. Du denkst dann, du reagierst auf etwas, was dein/e Partner*in von dir wünscht, doch im Grunde reagierst du auf eine alte Situation, die mit deinem Gegenüber heute gar nichts zu tun hat.

Diese Muster treten oft auch dann auf, wenn das ursprüngliche Trauma bereits bearbeitet wurde, zum Beispiel durch Therapie. Der Grund dafür ist, dass das Gehirn diese Muster als wichtige Überlebensstrategien gelernt hat und sie nicht so einfach aufgeben will. Es ist, als würde ein altes „Programm“ im Hintergrund weiterlaufen, selbst wenn es nicht mehr benötigt wird.

Fazit

Um also mit Trauma-Mustern umgehen zu können, musst du neue Strategien und Gewohnheiten entwickeln und dein Gehirn umprogrammieren. Dazu gehört zunächst einmal die bewusste Wahrnehmung deiner Muster und das Verständnis ihrer entstehungsgeschichtlichen Funktion. Durch Achtsamkeitsübungen und therapeutische Begleitung kannst du lernen, diese Muster zu erkennen und zu verstehen. Danach kannst du beginnen, alternative Verhaltensweisen zu üben und einzusetzen. Zudem ist es hilfreich, Selbstfürsorge zu betreiben und gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln, um deinen inneren Heilungsprozess zu unterstützen.

Die Auseinandersetzung mit Trauma-Mustern ist ein zentraler Schritt im Heilungsprozess von Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben. Es ist ein herausfordernder Weg, aber mit Geduld, Unterstützung und Engagement kannst du lernen, mit deinen Mustern umzugehen – und sie sogar zu verändern.

Du wünschst dir dabei Unterstützung? Buche dir gern ein kostenfreies Informationsgespräch und wir schauen, ob wir diese Reise gemeinsam antreten wollen. 

Beiträge zum Themenfeld Trauma und Traumaintegration

2 Kommentare

  1. Sylvia Tornau 17. Juli 2024 um 01:06 Uhr

    Hallo Herr Köhler, ich kenne mich mit dem „Symbolwert“ von Krähen und Raben nicht aus. Nach meiner Wahrnehmung gibt es sowohl Männer als auch Frauen, die „Krieg“ wollen, die Unfrieden stiften, so wie es auch Frauen und Männer gibt, die dies auf keinen Fall wollen. Es ist wohl immer auch eine persönliche Entscheidung, wohin es die Menschen zieht. Herzliche Grüße Sylvia Tornau

  2. Christian Köhler 15. Juni 2024 um 07:22 Uhr

    Guten Tag Frau Tornau,mir wurde gestern eine für mich persönlich wahre Theorie „eingebaut“. Sie lautet: Raaben sind die Rebels,die „weibchen“ und Krähen sind die Kämpfer,die „männchen“ Fazit daraus: Frauen wollen keinen Krieg,nur die Männer!

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Hallo, ich bin Sylvia

systemische Therapeutin, Trauma-Coach und Bloggerin. Seit über 20 Jahren arbeite ich mit Paaren, Familien und Einzelpersonen daran, negative Kindheitsprägungen und frühe Traumata zu lösen und ein Leben voller Selbstvertrauen, innerem Frieden und emotionaler Stabilität zu führen.
Für ein erfülltes Leben in Verbundenheit.

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