Warum Kreativität im Coaching und in der Therapie entscheidend ist
Mich beschäftigt die Frage nach der „Kreativität im Business“. Kreativität im Trauma-Coaching und in der Familientherapie? Je länger ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich: ohne Kreativität wäre ich wenig unterstützend für die Menschen, die zu mir kommen. Ohne Kreativität würde ich einfach nur Methoden abspulen und Tools einsetzen ohne ein Gespür dafür, was der Mensch, der vor mir sitzt, wirklich von mir braucht. Was für ihn/sie hilfreich sein könnte. Früher dachte ich, ich bin nur kreativ, wenn ich künstlerisch tätig bin. Dieses Verständnis hat sich enorm verändert und erweitert.
Kreativität ist die Fähigkeit, originelle und nützliche Ideen oder Lösungen zu entwickeln, indem man über bestehende Muster hinausdenkt und Neues schafft. – Sylvia Tornau
In diesem Beitrag erläutere ich mein Verständnis von Kreativität und warum ich sie im Business für unabdingbar halte. Außerdem zeige dir, wie ich diese in meinen Coachings und Therapien einsetze. Da ich kreativ bin, nehme ich mit diesem Beitrag gleich an zwei Blogparaden teil: „Ich wirke, also bin ich – Kreativität im Business“ von Karina Röpcke und „Was bedeutet Kreativität für Dich?“ von Hilke Barenthin.
Wie ich mit Kreativität in Berührung kam
Als Kind habe ich andere um ihre Kreativität beneidet. Malen und Basteln waren Tätigkeiten, zu denen ich keinen Zugang fand. Ich beneidete sie um die Handfertigkeiten, die Ideen, die Ergebnisse ihrer Tätigkeit, aber auch um die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die sie dafür bekamen. Das wollte ich auch, doch ich bin in dem Glauben aufgewachsen, so etwas machen nur „Spinner“ und ich sei „ohnehin zu blöd dafür“. Sportliche Aktivitäten hingegen genossen in unserer Familie einen hohen Stellenwert. Meine Brüder spielten Handball, Fußball, fuhren Radrennen und bekamen dafür die Anerkennung und Wertschätzung, nach der ich mich sehnte. Also passte ich mich an und wurde Leichtathletin in den Disziplinen Langstreckenlauf, Diskus, Kugel, Speer. Heute weiß ich, dass allein diese Anpassungsleistung ein kreativer Akt war. Es war weder originell noch nützlich für andere, aber sehr nützlich für mich. Ich bekam eine Art von Freiheit, die mir guttat. Je mehr Training, desto weniger zu Hause.
Die negative Prägung gegenüber kreativen Tätigkeiten führte in meinen Sturm und Drang Jahren dazu, dass ich unbedingt etwas Künstlerisches machen wollte: Malen, Schreiben, Theater spielen. Ich probierte alles aus. Die Zweifel am eigenen Talent und an den eigenen Fähigkeiten waren dabei meine ständigen Begleiter. Auch meinen ersten Beruf – die Ausbildung zur Fotografin – startete ich mit einem enormen Gestaltungswillen und wurde ausgebremst. Ich lernte alles über Licht und Perspektive, durfte aber nicht damit spielen. In der Arbeit ging es ausschließlich um Passbilder, Studioporträts und Babyfotos. Das langweilte mich. Geblieben sind mir von meinen künstlerischen Ambitionen der kreative Umgang mit Sprache, das Fotografieren mit dem Handy und zur Entspannung der Umgang mit Farbe auf Leinwand oder Papier. Ich liebe es noch immer, mich im Theater, beim Lesen oder von den Kunstwerken in Galerien einfangen und anregen zu lassen. Das ist mein kreativer Umgang mit den Sehnsüchten meiner Kindheit.
Was ich heute unter Kreativität verstehe
Im Gegensatz zu früher, als ich Kreativität ausschließlich mit künstlerischer Tätigkeit in Verbindung brachte, habe ich heute ein vielfach erweitertes Verständnis von Kreativität. Im Kern geht es meiner Meinung nach bei Kreativität darum, Verbindungen zwischen scheinbar nicht verwandten Ideen zu erkennen und etwas Neues zu schaffen. Wobei das Neue nicht immer eine bahnbrechende, weltverändernde Idee sein muss. Manchmal ist das Neue einfach „nur“ eine andere Betrachtungs- oder Herangehensweise an einen Sachverhalt, woraus sich dann etwa ein anderer Umgang mit mir selbst oder anderen entwickeln kann. Sich Türen öffnen, die ich bis dahin gar nicht gesehen habe. Kreativität erfordert die Bereitschaft, auch mal um die Ecke zu denken, heißt, alte Denkmuster zu hinterfragen und neue auszuprobieren. Sie ist eine Kombination aus Vorstellungskraft, Originalität und Flexibilität.
Kreativität erfordert oft eine gewisse Offenheit für Experimente, Risikobereitschaft und die Fähigkeit, Misserfolge als Teil des Lernprozesses zu akzeptieren. Für mich ist sie wie ein Spiel mit dem, was da ist. Ein Spiel, in dem sich die Regeln verändern und anpassen können, an die Spielsituation. – Sylvia Tornau
Als Leiterin einer Jugendhilfe Wohngruppe brauche ich diese Art der Kreativität. Ständig passiert etwas unvorhergesehen. Die Themen der Kinder kollidieren mit den Themen der Betreuer:innen. Es entsteht ein Konflikt, der eine Lösung erfordert, mit der sich beide Seiten arrangieren können. Also habe ich für die Idee eines regelmäßig stattfindenden Kinderteams geworben, in dessen Rahmen die Kinder und ihre Bezugspersonen im ständigen Austausch darüber sind, was ihnen gefällt und was sie gern ändern würden. Kreativ und flexibel muss ich regelmäßig Lösungen finden, wenn wir wieder einmal mit sich widersprechenden Gesetzen zu tun haben. Einerseits dürfen Kinder nicht eingesperrt werden, andererseits erfordert der Brandschutz Türen, die schon für Erwachsene nur schwer zu öffnen sind. Ohne kreative und flexible Lösungen würden wir an den Vorgaben verzweifeln.
Kreativität in Therapie und Coaching
Im Coaching und in der Therapie geht es häufig darum, Lösungen und Auswege aus unerträglichen Situationen zu finden und in für die Person annehmbare und umsetzbare Handlungsoptionen zu übersetzen, damit sich perspektivisch die eigene Situation verändern und wandeln kann. Hierzu ist es oft notwendig, die tieferen Bedürfnisse zu entdecken, die sich unter oder hinter einem Problem, einem Thema verbergen. Es gilt herauszufinden, was der gute Grund für das eigene Verhalten, die eigenen Sichtweisen ist, denn darin zeigen sich oft die verborgenen, vielleicht sogar verbotenen Bedürfnisse. Kreativität ist im Coaching und in Therapien halte ich für wichtig, weil sie Menschen hilft, neue Perspektiven zu entwickeln, Lösungen für Probleme zu finden und persönliche oder emotionale Blockaden zu überwinden, festgefahrene Denkmuster zu durchbrechen und innovative Lösungsstrategien zu entwickeln.
Die eigenen Gedanken und Gefühle auf unkonventionelle, weil ganz eigene Weise ausdrücken und verstehen zu können, ermöglicht oft tiefere Einsichten, als es durch rein rationale oder lineare Methoden möglich wäre. Dabei dient der Einsatz meiner Kreativität, als Coach und Therapeutin, als Anregung und Einladung. Dabei darf gern gelacht, gespielt, geschrieben und gemalt werden. Je nachdem, auf welche Herangehensweise die Klientin / der Klient anspricht. Es geht darum, in einer sicheren Umgebung zu experimentieren und alternative Wege zu erkunden, um mit Herausforderungen umzugehen. Im Ergebnis fördern kreative Methoden die Flexibilität im Denken und ermutigen dazu, neue Wege zu gehen, um Ziele zu erreichen oder Veränderungen im Leben zu initiieren. Kreativität unterstützt auch dabei, das eigene Potenzial zu entdecken, besser zu verstehen und nutzen zu können. Kreative Techniken wie Malen, Schreiben, Rollenspiele oder Visualisierungen bieten neue Wege, um innere Konflikte auszudrücken und zu verarbeiten.
So setze ich Kreativität in meiner Arbeit ein
Jede Therapie, jedes Coaching ist ein individueller Prozess, der abhängig ist, von dem, was die Klientin mitbringt: an Vorerfahrungen, Wissen, Verständnis für die eigene Situation, Offenheit für den Prozess. Die gemeinsame Arbeit wird auch geprägt, von meiner Offenheit, meinem Verständnis für die jeweilige Situation, von meinem Wissen und Handwerkszeug – sprich von den Methoden, die ich erlernt habe. Ich brauche ein Gespür dafür, wer da vor mir sitzt und was die Person im Moment gerade braucht. Es gibt Menschen, die reden sehr viel, wenn sie sich unsicher fühlen, andere hingegen verstummen. Also geht es darum herauszufinden, wie ist der Mensch gerade da, was braucht er/sie, um sich in der Arbeit mit mir sicher zu fühlen. Dann gibt es aber auch die Menschen, die offenbar kaum Zugang zu ihren Gefühlen oder ihrer Körperwahrnehmung haben. Dies gilt es für mich herauszufinden und auf jede Situation unterschiedlich zu reagieren und mein Vorgehen anzupassen.
Wenn ich spüre, dass eine Methode, Fragetechnik nicht ankommt, korrigiere ich und probiere einen anderen Weg. Dabei achte ich auf die Körperhaltung, den Atem und die Worte, die mein Gegenüber spricht. Mitunter ertappe ich mich, dass ich mich von der Sprache meines Gegenübers einfangen lasse und wir uns miteinander in Wortspielereien verlieren. Ich gebe zu, dafür bin ich anfällig. Heißt, ich darf während einer Sitzung auch immer die eigene Befindlichkeit und die eigenen Reaktionsmuster überprüfen, damit die Klientin am Ende nicht nur von einem guten Gespräch beflügelt nach Hause geht, sondern in ihrem Prozess einen Schritt weiterkommt. Wichtig bei der Wahl der situativen Methode ist auch herauszufinden, welcher Zugang zu sich selbst, der am weitesten geöffnete ist. Sitzt vor mir ein haptischer Mensch, jemand, der gern spricht, schreibt, malt? Welche Ausdrucksform bevorzugt sie/er? Ist es sinnvoll, diesen Weg zu verfolgen oder braucht es einen anderen Kanal? Das alles gilt es herauszufinden.
Fazit
Mein Verständnis in Bezug auf Kreativität hat sich im Verlauf meines Lebens enorm gewandelt. Früher habe ich mich nicht getraut, Ansätze und Methoden so zu mixen, dass sie individuell passend sind. Ich war sehr starr in der Anwendung und fragte mich, woran es liegen könnte, dass Klient:innen nicht darauf ansprechen. Ich las viel über Kreativität, Schillers Theorien zur ästhetischen Erziehung und über die Spieltheorien. Damit veränderte sich mein eigener Zugang zur Kreativität und erweiterte sich. Heute kann ich sagen, ohne dieses Jonglieren mit Ansätzen und Methoden und ohne zu erkennen, wann welcher Ansatz passend ist und wann nicht, würden viele Sitzungen an den Klient:innen vorbeigehen, sie nicht berühren oder bewegen. Genau darum geht es aber auch, Starres und Erstarrtes in Bewegung zu bringen, damit die jeweiligen Energien wieder ins Fließen kommen. So erweitern sich Sichtweisen und es zeigen sich neue Optionen und Wahlmöglichkeiten.
Im Grunde entwickelt sich so für jede Klientin / jeden Klienten ein eigenes Spielbrett fürs Leben und sie lernen, die eigenen Spielregeln anzupassen und zu verändern. Kompromisse zu finden oder gar eine neue Ausrichtung für sich selbst, die vorher – verhaftet in der Enge alter Prägungen – nicht denkbar und möglich erschienen. Deshalb feiere ich die Kreativität, weil sie mein Leben verändert und erweitert hat, in allen Lebensbereichen und weil sie anderen dazu verhilft, dies ebenfalls für sich zu entdecken und zu nutzen.
Ein kreatives Leben ist ein achtsames, intensives und bereichertes Leben. – Sylvia Tornau
Aufstehen und in Würde strahlen!
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Ich danke dir dafür!
Liebe Sylvia,
herzlichen Dank für deine Teilnahme an meiner Blogparade und vor allem für diesen toll geschriebenen Artikel. Diese Wandlung der Sicht auf Kreativität kommt mir sehr bekannt vor. Als jemand mit einem kreativen Beruf durfte ich mir schon häufiger lustige Dinge dazu anhören, wie eng manchmal auch die eigene Kreativität gesehen wird.
Einen lieben Gruß, Hilke
Danke für deine Rückmeldung und für das Kompliment.
Liebe Sylvia!
Von Herzen Danke für die Teilnahme an meiner Blogparade und für Deinen wundervollen Artikel. Du weißt, ich bin ein großer Fan Deines Schreibstils und auch diesmal hast Du mich wieder vollkommen mitgenommen. Ich bewundere Deine Offenheit und Ehrlichkeit und kann nur bestätigen, dass Kreativität im Coaching und in der Therapie nicht nur praktisch eingesetzt wird, sondern auch eine wertvolle Methode ist, um emotionale Belastungen in Gesprächen zu verarbeiten.
Alles Liebe – Karina